Drei Jahre lang staute sich die Vorfreude an. Mit der Premiere der Operette «Polenblut» kam es am Samstag im Theater Arth zum explosiven Feuerwerk.

Christian Ballat, Bote der Urschweiz, 12.03.2023

Tanzeinlagen sowie farbengeladene Kostüme und Bühnenbilder sorgten an der Premiere immer wieder für Spontanapplaus.
Bild: Christian Ballat

Diese Vorfreude. Diese Spannung. Dirigent Beat Blättler schreitet in den Orchestergraben, klopft kurz an sein Pult, hebt den Taktstock, lässt die Instrumente erklingen. Ergriffen lässt sich das Publikum von der Musik des Komponisten Oskar Nedbal einlullen. Dann endlich geht der Vorhang auf – bis auf einen Tag genau drei Jahre nachdem sich dieser hier letztmals nach einer Operettenaufführung schloss.

Die Spannung fällt in sich zusammen, verwandelt sich in Begeisterung und ersten, lauten Applaus. Die in Rot gehüllte Bühne mit den auf Ringen einfliegenden Tänzerinnen begeistert, berührt. Hühnerhautkribbeln schon gleich zu Beginn, was für ein Auftakt.

Aktuell wie vor 100 Jahren

Das Publikum wird in ein wunderbares Märchen entführt, das viel erzählt über das Leben des polnischen Volkes von 1913 – und von heute, in Polen, der Schweiz und in Europa. Regisseurin und Choreografin Elja-Duša Kedveš hat es einmal mehr meisterlich verstanden, eine eigentlich banale Geschichte zu einem faszinierenden Gesamtwerk umzuwandeln: packend, unterhaltend, berührend. Das Publikum wechselt seine Gefühle mit dem Geschehen auf der Bühne, lacht herzhaft, staunt, zeigt vor Rührung mehrfach feuchte Augen.

Die überzeugenden Solistinnen und Solisten führen durch die Geschichte. Sie lassen die Gäste im Saal teilhaben an Liebeskummer, Eifersucht, Geldsorgen, Lebensfreude und Happy End. Die Frauen übernehmen in «Polenblut» das Zepter. Sie lassen sich nicht einfach anbaggern, nehmen keine Geschenke an und sagen an, wie es läuft. Um erfolgreich die heruntergekommene Landwirtschaft auf naturnah umzustellen, greifen sie auch zu Tricks. Ein Diebstahl wird kurzerhand als Vorbezug auf die zu erwartende Mitgift deklariert.

Der begeisternde Theaterchor unterstützt mit seinen Liedern und seinen Tänzen die Geschichte. Er versprüht Stolz und Freude des Volkes, lässt trotz dessen Armut die grosse Dankbarkeit hautnah spüren. Das gesungene Erntedankgebet ist einer von vielen glanzvollen Höhepunkten.

Als ob Gesang, Schauspiel und Tanz nicht schon genügend für Begeisterung sorgen würden – Freundinnen und Freunde der Operettenbühne Arth wissen es – liefert auch «Polenblut» rauschende und in jedem Detail stimmende Kostüme sowie Bühnenbilder voller Aussagekraft und Farbenpracht. Auch dafür brauste immer wieder verdienter Szenenapplaus auf. Vereinzelte Stimmen aus dem Publikum zollten zwar auch grosse Anerkennung, meinten aber, dass etwas weniger eigentlich mehr gewesen wäre. Die Inszenierung läuft Gefahr, den eigentlichen Kern einer Operette etwas in den Hintergrund zu drängen.

Der nicht enden wollende Schlussapplaus nach knapp drei Stunden Märchenerlebnis zeigt, wie zufrieden und glücklich das Publikum im Theater Arth war. Trotz dreijähriger Pause: Arth kann Operette. Nach wie vor. Zauberhaft. 22 Aufführungen stehen noch auf dem Programm.

«Zum Nachdenken angeregt»

Die Botschafterin Polens in der Schweiz, Iwona Kozlowska, besuchte die Operettenpremiere in Arth.

Die Botschafterin Polens in der Schweiz, Iwona Kozlowska redet zu den Premierengästen im Theater Arth.
Bild: Christian Ballat

Als besonderen Ehrengast durfte der Arther Theaterpräsident Sandro Forni die polnische Botschafterin aus Bern zur Premiere begrüssen. Iwona Kozlowska gab ihrer Freude über die Einladung Ausdruck – und ihr Erstaunen.

Die Wahl des Stücks überrascht sie?

Es ist etwas Besonderes und Mutiges, wenn das älteste Operettentheater der Schweiz in der aktuellen, politischen Situation in Europa «Polenblut» aufführt.

Das Stück spielt im Jahr 1913. Kurz vor dem 1. Weltkrieg war Polen in einer schwierigen Situation.

Tatsächlich taucht Polen als Staat von 1795 bis 1918 nicht auf den Landkarten auf. Das Stück wurde geschrieben, um zu verstehen, dass es zwar keinen polnischen Staat gab, aber ein polnisches Volk mit ganz viel Nationalgefühl.

Ein selbstbewusstes Volk, das damals von der russischen Herrschaft dominiert wurde. Es hat trotzdem nie aufgegeben.

Die Polen sind sehr geschichtssensibel und haben seit jeher ihren Stolz. Wir wurden so, weil wir uns immer gegen Fremdherrschaft wehren mussten. Seit 30 Jahren erst sind wir ein freies, demokratisch geführtes Land.

Welche Rolle spielte die Schweiz in der polnischen Geschichte?

Der Freiheitstraum führte polnische Menschen schon im 19. Jahrhundert als Flüchtlinge in die Schweiz. Das Polenmuseum in Rapperswil erzählt die Geschichte und ist heute noch ein grosses Symbol für die Freundschaft zwischen der Schweiz und Polen.

Wie sehen Sie die aktuelle politische Lage?

Auch wenn wir für unsere Freiheit kämpfen, geht es in Europa heute darum, den Nachbarn zu helfen. Wir brauchen die Solidarität anderer, geben sie aber auch weiter, beispielsweise den zwei Millionen ukrainischen Flüchtlingen in unserem Land.

Wie erlebten Sie den Premierenabend von «Polenblut» in Arth?

Ich bin von der Inszenierung begeistert. Sie hat mich an verschiedenen Orten aber auch nachdenklich gemacht. Sie zeigt, was 1913 galt, gilt heute noch: Europa muss in seiner Einheit die Vielfalt all seiner Völker leben und sich für jedes einzelne einsetzen.

Schon das erste Bild zur Ouverture erzeugt Hühnerhaut und wurde mit grossem Applaus belohnt.
Bild: Christian Ballat

Helena (Sara Hugelshofer) erhält zum Erntedankfest ihren verdienten Lohn.
Bild: Christian Ballat

Noch sitzen die Freunde von Graf Bolo (Simon Witzig, Vierter von rechts) bei Schnaps und Kartenspiel gemütlich zusammen.
Bild: Christian Ballat

Die Goldauer Sopranistin Rahel Bünter als Wanda mit ihrem Verehrer Graf Bolo, gespielt von Simon Witzig, der am Gymnasium Immensee in der Fachschaft Musik unterrichtet.
Bild: Christian Ballat