Der Nein-Sager

(NZZ – Schweiz – Montag, 12. Juli 2021, Seite 6)

Der Schwyzer SVP-Kantonsrat Beni Diethelm gibt der konservativsten Ecke der Schweiz eine Stimme

ERICH ASCHWANDEN, WÄGITAL

Ein wenig geärgert hat sich Beni Diethelm am Abend des letzten Abstimmungssonntags schon. Und zwar weil der Kanton Schwyz das Anti-Terror-Gesetz knapp angenommen hat. Ein Trost war immerhin, dass sein Wohnort Vorderthal alle fünf Vorlagen abgelehnt hat. Und zwar mit Nein-Mehrheiten zwischen 69 und 88 Prozent. «Gefreut hat mich aber vor allem, dass der Kanton Schwyz das Covid-19-Gesetz verworfen hat. Dies, obwohl meine Partei auf nationaler Ebene die Stimmfreigabe beschlossen hatte», sagt Diethelm. «Meine Partei», das ist die Schweizerische Volkspartei (SVP), für die er seit 2016 im Schwyzer Kantonsparlament sitzt.

Wir treffen Bernhard Diethelm, von allen nur Beni genannt, am Wägitalersee. Das Fischerparadies bildet so etwas wie den Mittelpunkt der konservativsten Ecke der Schweiz. In der Nähe liegen die Gemeinden Vorderthal, Unteriberg, Alpthal und Illgau. Diese Orte liefern sich häufig ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wenn es darum geht, Vorlagen «aus Bern» möglichst brutal abzuschmettern. Obwohl sie teilweise durch hohe Berge getrennt seien, sei die Mentalität der Menschen gleich, sagt der SVP-Politiker: «Hier halten die Leute die Eigenverantwortung noch hoch und verteidigen ihre Freiheitsrechte. Darauf sind wir stolz.»

Fasziniert von Blocher

Vorderthal, eine Gemeinde mit rund tausend Einwohnern, liegt an der Wägitalerstrasse, die die einzige Zufahrt zum Stausee bildet. Hier ist Diethelm geboren, hier hat sich der 38-Jährige in den vergangenen Monaten zu einem der Wortführer dieses konservativen Kernlandes gemausert. Als 16-jähriger Kochlehrling tritt er 1999 in die Junge SVP Schwyz ein. Es ist ein Entscheid aus tiefster Überzeugung. «Ich habe sofort gemerkt, dass hier meine politische Heimat ist. Allein gegen alle hat die SVP den EWR-Beitritt bekämpft – und das hat mir imponiert.»

Die Dienste und Talente des jungen Mannes sind gefragt. Er hilft überall mit, wo es politische Aufbauarbeit zu leisten gilt. Zeitweilig arbeitet er nur in einem 80-Prozent-Pensum, um an Parteisitzungen teilnehmen zu können, die meistens abends stattfinden, wenn er eigentlich in der Küche stehen müsste. So wird er Sekretär der JSVP Schwyz, Gründungsmitglied und Sekretär der SVP Wägital, Gründungsmitglied der SVP March und Vorderthaler Gemeinderat. Er und seine Parteikollegen pflügen das Wägital politisch um. Vorderthal, wo früher die FDP das Sagen hatte, wird innerhalb von wenigen Jahren zur absoluten SVP-Hochburg.

Zum ersten Mal nimmt die Schweiz dies im Dezember 1996 zur Kenntnis. Vorderthal stimmt der ersten SVP-Asylinitiative mit 88,1 Prozent Ja-Stimmen zu. Ein Rekordwert. Das Thema Ausländer zieht auch sechs Jahre später bei der Abstimmung über die Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch». Christoph Blocher, der starke Mann der Volkspartei, erkennt mit sicherem politischem Instinkt, dass die Leute hier oben gleich ticken wie er. Er macht Vorderthal zu seinem Ort für spektakuläre Auftritte. Legendär ist Blochers Rede in der Berggemeinde vom 1. August 2003, mit der er den amtierenden Bundesräten am Nationalfeiertag fast die Show stiehlt. Auch den Auftakt zum Kampf gegen das EU-Rahmenabkommen im Juni 2014 inszeniert er mit viel Folklore in der Schwyzer Bergwelt. Ob als Festwirt oder Treichler – Beni Diethelm ist bei allen Auftritten dabei. Noch heute schwärmt er: «Christoph Blocher ist immer noch der herausragendste Politiker der Schweiz. Trotz all seinen Erfolgen ist er bodenständig geblieben und kennt einen persönlich, wenn man ihn trifft.»

Beni Diethelm geht regelmässig gegen die Corona-Politik demonstrieren – auch zusammen mit Antifaschisten. CHRISTOPH RUCKSTUHL / NZZ

Diethelms Fleiss zahlt sich 2016 in einem politischen Mandat aus. Die Schwyzer wählen ihn erstmals ins Kantonsparlament. Er macht sich im Kantonsrat einen Namen als Mann, der in der ohnehin rechtsstehenden Schwyzer SVP noch einen Zacken schärfer politisiert. Wo andere zögern oder sogar ab und zu Ja sagen, gibt es für Beni Diethelm nur das Nein. So ist es beim Covid-19-Gesetz, beim Anti-Terror-Gesetz und bei der elektronischen Identität (E-ID). Im Kanton Schwyz sorgt er für Aufsehen, weil er das Referendum gegen das Stimmrecht für Ausländer in den katholischen Kirchgemeinden ergreift. Zu diesen nationalen und kantonalen Vorlagen sagt die SVP Ja oder beschliesst Stimmfreigabe. Vor allem diese Nicht-Haltung ärgert Diethelm gewaltig: «Stimmfreigabe ist feige. Unsere Partei muss Klartext sprechen. Schliesslich kann man nicht Jein auf den Stimmzettel schreiben.»

«Stimmfreigabe ist feige. Unsere Partei muss Klartext sprechen. Schliesslich kann man nicht Jein auf den Stimmzettel schreiben.»

Beni Diethelm
Schwyzer SVP-Kantonsrat

Die Dolf-Affäre

Mit seiner direkten Art und einer Rhetorik, die ab zu mit ihm durchgeht, schafft sich Diethelm parteiintern nicht nur Freunde. Einige Male habe es schon richtig «gerumpelt», sagt er selber. Zündstoff bot etwa die sogenannte Dolf-Affäre im Dezember 2019. Damals hatte Manuel Züger, der Vizepräsident der SVP-Sektion Wägital, auf Facebook gepostet: «Das Einzige, was wieder nach Deutschland gehört, ist ein neuer Onkel Dolf.» Den Vorwurf, die SVP Schwyz stehe Nazi-Gedankengut nahe, wollte der damalige Kantonalpräsident Roland Lutz im Keim ersticken.Vor versammelten SVP-Delegierten erklärte er, man dulde solche Personen nicht in der Partei, und rief: «Wir wollen euch nicht!» Damit geriet er bei Diethelm an den Falschen. Als Präsident der SVP Wägital weigerte er sich, den Ausschluss zu vollziehen, und griff Lutz frontal an, weil dieser ein unbescholtenes Parteimitglied öffentlich an den Pranger gestellt habe.

Der Vorstand der SVP Wägital distanziere sich klar und unmissverständlich von jeglicher Naziideologie, hält Diethelm fest. Doch der Facebook-Kommentar sei missverstanden worden. Sein Vizepräsident, der später freiwillig zurücktrat, habe erklärt, dass er mit «Onkel Dolf» keineswegs Adolf Hitler gemeint habe, sondern «einen gewissen Dolf Sternberger ». Sternberger war ein 1989 verstorbener deutscher Journalist und Politikwissenschafter. Die Episode zeigt: Wenn es hart auf hart geht, steht man im Wägital zusammen und bildet eine Wagenburg. Da ist es egal, ob die Angriffe aus Brüssel, Bern oder Schwyz kommen.

Die Unstimmigkeiten seien bereinigt, versichert Diethelm. Zeit, um sich um solche Nebensächlichkeiten zu kümmern, hat er momentan ohnehin nicht. Ihn treibt die gegenwärtige Corona-Situation um. Nicht etwa, dass er vor dem Virus Angst hätte. «Das hat man hier oben kaum bemerkt», sagt er. Wie zum Beweis trägt er im Postauto von Vorderthal nach Innerthal keine Maske. Den sonntäglichen Gottesdienst will er erst wieder besuchen, wenn die Maskenpflicht in den Kirchen aufgehoben wird.

Diethelm lässt sich auch nicht davon beeindrucken, dass das Spital Schwyz auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle auf Youtube einen Hilferuf abgesetzt hat. In einem Vorstoss im Kantonsrat kritisierte er das Video als «regelrechte Propaganda im Sinne einer völlig überspitzten Form der Panikmache». Vehement kritisierte er das «Fehlverhalten der Spitalführung». Einerseits hat Corona sein berufliches Leben vollständig umgekrempelt. Als Koch und Wirt gab es keine Zukunft mehr. Seit Mitte Mai hat er wieder einen sicheren Job. Er arbeitet als Leiter Küche und Take-away in einer grossen Filiale der Handelskette Spar in Schänis im Kanton St. Gallen. Andererseits ist Diethelm zum Corona-Rebellen geworden. Er ist Teil der Bewegung, die sich fast im Wochentakt mit Demonstrationen gegen die Corona-Politik von Bund und Kantonen zur Wehr setzt.

Die Repression durch die Polizei, die er bei diesen Kundgebungen nach eigenen Angaben erlebte, hat ihn verändert. Wenn man eine solche «Gesinnungsdiktatur» aufziehe, dürfe man sich nicht wundern, dass bei vielen Leuten das Misstrauen gegenüber der Regierung, dem Parlament und anderen Institutionen stark gewachsen sei. Diethelm engagiert sich stark im Kernteam des «Aktionsbündnisses Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik», das viele Unterschriften für das zweite Referendum gegen das Covid-19-Gesetz gesammelt hat. Aktionen wie diese verleihen ihm neue Kraft.

Das Engagement in der Anti-Corona- Bewegung hat den Horizont des SVP-Mannes erweitert. «In Zürich habe ich mit Leuten der Antifa diskutiert, und wir haben herausgefunden, dass wir ähnlich ticken, was die Bedrohung der Freiheitsrechte durch den Staat angeht», erinnert sich Diethelm. Deswegen habe er sich zu einem Nein zum Anti-Terror-Gesetz durchgerungen. Wegen der Bekämpfung der Islamisten habe er das Gesetz anfänglich für notwendig gehalten. Doch letztlich sei der Bundesrat zu weit gegangen. «Wer frei denkt und diese Gedanken auch noch in der Öffentlichkeit ausspricht, läuft Gefahr, als Staatsgefährder gebrandmarkt zu werden.»

Die Corona-Pandemie und ihre Folgen haben in Diethelms Beobachtungen zeitweilig zu einem Riss innerhalb der SVP geführt. Die Parteileitung habe in der ersten Phase die Basis nicht mehr richtig gespürt. Er hofft, dass die Partei nun umdenkt und sich mit allen Mitteln gegen die Corona-Einschränkungen wehrt. «Ich bin gespannt auf die Haltung der SVP zum zweiten Covid-Referendum. Wir müssen zurück zu unseren Wurzeln und Nein sagen zu diesem Gesetz.» Erste Anzeichen in diese Richtung sieht er in einer Aktion, mit der sich seine Partei vor kurzem in Erinnerung gerufen hat. Mit Höhenfeuern in der ganzen Schweiz feierte die SVP den Abbruch der Verhandlungen über das EU-Rahmenabkommen. Beni Diethelm war selbstverständlich ebenfalls mit von der Partie. Im schwyzerischen Morschach bejubelte er zusammen mit den 1.-August-Treichlern aus Vorderthal Christoph Blocher und Roger Köppel.

Eine neue Partei gründen?

«Ich glaube, die strategische Ebene der SVP hat inzwischen gemerkt, dass die Corona-Krise viele vorher unpolitische Leute geweckt hat», schliesst Diethelm, dies auch aufgrund der hohen Stimmbeteiligung vom 13. Juni. Die Höhenfeuer könnten Teil einer Strategie sein, die Partei für dieses Potenzial attraktiv zu machen. Die Bewegung der Massnahmenkritiker und die SVP sind aus seiner Sicht jedoch keineswegs deckungsgleich. Und das sei auch gut so. «Wir brauchen in der Zukunft auch in der SP und in der FDP Leute, die kritisch denken. Deshalb muss die Bewegung in diesen Kreisen ebenfalls verankert bleiben.» Laut Diethelm gibt es auch Überlegungen, aus den Corona-kritischen Organisationen heraus eine neue Partei der Unzufriedenen zu gründen. «So etwas wie eine Freiheitsbewegungspartei oder eine Alternative für die Schweiz, wird zurzeit diskutiert.» Er hat auf jeden Fall schon Anfragen erhalten, ob er bei einer solchen Partei mitmachen wolle. Doch dieser Schritt kommt für ihn nicht infrage. «Ich bin zwar nicht immer zu hundert Prozent einverstanden mit der Partei. Doch die SVP ist und bleibt meine Heimat.»

NZZ 12. Juli 2021, Seite 6

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