von Alois Birrer

Seine Lebenszeit war vom 29. November 1887 bis am 14. Januar 1962. Ich lernte ihn erst kennen als ich 1934 in Arth Wohnsitz nahm, aber in kürze erfuhr ich, dass er als eines der wohl grössten Dorforginals von Arth und Umgebung galt. Als fast Nachbar, hauste er ca. 150 Meter von unserer Wohnung entfernt, dorfauswärts rechts Richtung Zug etwa 50 Meter nach der Rigi-Aa hart an der Kantonsstrasse.

Dort stand es einst als währschaftes behäbiges Bauernhaus zur Weber „Güpfen“. Aber so wie ich es erlebte, war es in einem elend, verlottertem Zustand. Es war nicht gerade eine Einladende Dorfpforte. Manch Durchreisender oder auch Anwohner hatte nur Kopfschütteln für diese Behausung. Soweit es mir bekannt ist, will ich hier mir bekannte Daten und Lebensgewohnheiten vom Güpfe Zeni festhalten. Es mögen diese nur als kleine Beigefügte zu den schon bekannten und geschriebenen Reminiszenzen des genannten erwähnt sein. Also zur Güpfen (so hiess das kleine Anwesen) bewohnte Zeni mit seinem Bruder Domini, der auch ein etwas kurliger Kauz war. Dieser bewirtschaftete auf nicht gerade mustergültige Art das beinahe zerfallene und zerlauste Bauerngut.

Auf der kleinen Anhöhe Richtung Wybergli stand der beinahe einsturzgefährdete Gaden (Stall). Schliesslich hielt sich Domini, der schliesslich auch nicht mehr der jüngste war eine Kuh, welche die beiden mit der wichtigsten Flüssigkeit versorgten. Domini hatte in seinen letzten Lebensjahren nicht immer Kraft um gemähtes Gras zur Fütterung seiner Kuh bereit zu Halten. Kurzerhand nahm er sie an einen Strick und führte sie auf die Wiese vor dem Stall und liess sie (ein ulkiger Anblick) sozusagen an der Leine führend gefügig aesen. Nach Beendigung der Fütterung, wurde sie wieder in den Stall geführt, in einen Stall, in dem man von innen durch das Dach sehen konnte ob es sonnig oder der Himmel bedeckt sei.

Um all das kümmerte sich Domini nicht im geringsten. Aber auch Zeni der die Ansichten und Arbeitsmethoden mit seinem Bruder nicht immer teilte war das völlig egal. So hausten sie, einander gleichgültig, jeder in seinen eigenen Gemächern. Domini war ledig, Zeni der eigentümlicherweise Legenderere war verheiratet. ER hatte zwei Töchter, welche sich schon in jungen Jahren von Arth verabschiedeten. Seine Frau ist ihm viele Jahre im Tod vorausgegangen. Aber das sei hier vermerkt, Familiensinn war bei ihm nicht grossgeschrieben. Schief hing bei ihm der Hausfrieden trotzdem nicht, war er doch als gutmütiger Trottel bekannt. Gutmütigkeit und und Gleichgültigkeit in seiner Wesensart sind Komponenten wie eben ein Orginal wie nur ein Güpfe Zeni heraus wachsen kann. Dummheit durfte man ihm beileibe nicht zuschreiben, denn ein dummer, einfältiger Mensch wird nie ein Orginal. Wie er aber selbst sagte, sei er kein Musterschüler gewesen, das Notenheft war mit Bogenzahlen und hygienischen Anmerkungen geziert. Jedoch in Geschichte und Geographie habe er es mit den Besten aufgenommen. Das konnte man auch verstehen, denn er hatte ein gutes Gedächtnis. Das Bewies doch, dass er interessante Begebenheiten in allen seinen Lebensjahren in Erinnerung hatte und mit seiner ulkig zackigen Aussprache wiedergeben konnte.

15. Juli 1914 in Arth im Alter von 27 Jahren.

So erzählt er von seinem freiwilligen wie auch unfreiwilligen Frankreichaufenthalt. Just eine Woche vor Aufbruch des ersten Weltkrieges 1914 ist er in die Normandie abgereist. Er hat dort bei einem Gutsbesitzer, der auch aus der Schweiz stammte eine Stelle als Knecht angetreten. Doch diese Arbeit war ihm nach nicht langem Aufenthalt zu streng und unpässlich. Man hätte es erahnen können, denn Zeni ist nicht als Schwerarbeiter und Saubermann geboren worden. Solche und andere Vorwürfe musste sich Zeni von seinem Meister gefallen lassen. Bald hielt es unser einstiger Zeitgenosse mit seinen seltsamen Allüren nicht mehr aus und lief seinem Arbeitgeber davon. Er kam nicht weit unser sorgloser Zeni. Es herrschte Kriegszustand in Frankreich. Mit zwei deutschen Wandergesellen wollte er Le Havre erreichen. Aber noch nicht weit von diesem Ziel entfernt, wurden diese von einer französischen Polizeipatroullie gestellt. Alle drei hatten keine Ausweispapiere auf sich und Zeni in seiner Sorglosigkeit hatte diese auch bei seinem Meister zurückgelassen. Also wurde dieses Trio als Spione geahndet mit soliden Armbändern (Handschellen) geziert und in Untersuchungshaft genommen. Nach Verhör und unglaubwürdigen Aussagen spedierte man diese nach Rouen ins Gefängnis. Erst einige Wochen später, nach intensiver Intervention seines vorherigen Arbeitgebers und der Gemeindebehörde Arth, wird Zeni, der arme Tropf, aus der Haft entlassen. Das Schicksal der beiden anderen blieb dem Schreiber unbekannt. So wurde unser Zeitgenosse in einer für ihn verunsicherten Fahrt über die Grenze in die Schweiz abgesetzt. In seinem Heimatdorf ist der, seit einiger Zeit Vermisste, glücklich eingetroffen und mit freudigen aber rasenden Gesten wieder aufgenommen worden.

Diesen Lebensabschnitt von dem Zeni immer wieder befragt und von ihm gerne wiedergegeben wurde, wollen wir jetzt verlassen und uns seinem weiteren Dasein zuwenden. Arbeit war für ihn nur eine vor dem Hungertod bewahrende Tätigkeit. Diese übte er damals als Hilfsarbeiter in der damaligen Ziegelei Auf der Maur aus. Infolge des Rohstoffes Lehm, dessen Abbau sich im Erli befunden hatte, musste die Ziegelei ihre Tore schliessen. Soweit mir bekannt ist, war dies auch das letzte large Einkommen vom Güpfen Zeni. Dementsprechend war sein weiterer Lebenswandel, jener, welcher ihm immer mehr die Bedeutung als Dorforginal zukommen liess. Und doch hat er sich eigentümlicher Weise für die Belange seiner Umgebung und der Gemeindebehörde recht ordentlich interessiert. Er griff auch immer gerne zu allem Lesbaren, seien es allerart Schunken oder auch Zeitungen wirtschaftlicher oder politischer Art. Zeni erwies sich sogar noch als Schreiberling. Mit seinen zum Teil satirisch-komischen Einsendungen in die Rigi-Post wollte er die Gemeindeverwaltung eines Besseren belehren. Mit belächeln seiner journalistischen Tätigkeit fand auch dieses Orginalitätsgrad sein Ende. Wegen unleserlichkeit und weniger gutem schriftlichem Stil. Immer mehr in die Jahre gekommen rezetiert Zeni fast menschenunwürdig dahin. Der Coiffure war für ihn seit vielen Jahren ein überflüssiger Beruf. Täglich holte er mit einem Kesseli de Suppe von den warmherzigen Brüdern im naen Kloster. In nicht gerade galanter Kleidung und ausgetrampeltem Schuhwerk, zerzaustem Schnauz und Bart begegnete man ihm öfters, und lasen an ihm die Menukarte von gestern und vorgestern. Als ihm einmal die Suppe nicht schmeckte, goss er sie auf dem Heimweg aus und zierte damit gar die Kostermauer. Ein andermal begegnete ihm auf der Strasse ein Schulmädchen das ihm freundlich mit „Herr Weber“ begrüsste. Er war sich nicht gewohnt, dass man ihn mit „Herr“ ansprach, und so rief er dem Mädchen zurück: „Ich bin nicht der Herr Weber ich bin der „Süäber“.

Sonst war Zeni ein leutseliger Mensch. Gerne erzählte er immer wieder von seinem abenteuerlichen Aufenthalt in Frankreich. Man konnte gut mit ihm plaudern und er war ein sehr dankbarer Mensch, wenn man ihm, gleich was, zum Lesen gab und etwas Tabak oder einen Stumpen schenkte. Es war ein friedliebender Mensch, aber wenn ihn die Buben neckten, dann erhob er wildfluchend seinen Stock und vertrieb diese mit lauter Stimme und wünschte sie zum Teufel.

Im Stile dieser Aufzeichnungen gingen die Lebensjahre vom Güpfen Zeni immer schneller dahin. Man merkte ihm an, das er ruhiger geworden war. Er besuchte auch gerne den Sonntagsgottesdienst, denn er war auch ein grosser Vertreter der Arther Pfarrkirchpatrone St. Zeno und St. Georg. Aber nicht immer war er in seinen unüblichen sonntäglichen Aufmachung ein wohlgewollter Kirchennachbar. Langsam liesen die Kräfte von Zeni nach. Gute Nachbarn kamen zusehends immer fleissiger, um ihm bei seiner täglichen Hausarbeit zu helfen, und brachten ihm etwas warmes zu Essen. Immer mehr wurde Zeno hilfsbedürftiger. Die Fürsorgestelle der Gemeinde hatte ein Einsehen und holte Zeni in das Bürgerheim aber dieser Wohnungswechsel behagte unserem guten Zeni gar nicht, und streubte sich vehement. Aber es musste einfach sein. Vor dem Zimmerbezug wurde er natürlich einer Generalreinigung unterzogen. Waschbecken und Seife, waren ja sowieso ein Fremdwort für ihn und dann erst noch das Bad, da hatte das Personal die grösste Mühe, den wild gestekulierenden Zeni in die Badewanne zu bringen. Von diesen Zeiten an, hörte man nicht mehr viel von unserem geschwächten und lebensmüden Güpfen Zeni. Dennoch unerwartet schnell kam am 14. Januar 1962 die Todesnachricht unseres unvergesslichen Zeitgenossen und wohl bekanntesten Dorforginals Zeno Weber alias „Güpfen Zeni“ von Arth heraus.