(Bote der Urschweiz – Samstagsgespräch – 29. September 2007, Seite 9)

Vor 50 Jahren begann mit «Sputnik 1» das Weltraumzeitalter. Ein Blick zurück und nach vorne mit dem Arther Mathematiker Bruno Stanek.

Mit Bruno Stanek sprach Franz Steinegger

Was ist für Sie die grösste Leistung des Menschen im 20. Jahrhundert?

Nachweisbar die ersten bemannten Mondlandungen von 1969 bis 1972, weil sie zugleich ein grösseres Teamwork waren und aus bis zu 500 000 Einzelleistungen bestanden im Vergleich zu irgendetwas sonst im 20. Jahrhundert.

Am 4. Oktober 1957 schossen die Russen den ersten Satelliten in eine Erdumlaufbahn. Sie waren 14 Jahre alt. War Ihnen damals bereits bewusst, was das für ein epochales Ereignis war?

Ja, mit der unverdorbenen Betrachtungsweise des Heranwachsenden für wirklich Neues und weil ich als bereits Astronomie-Interessierter einigermassen wusste, was ein künstlicher Mond war.

Wissen Sie noch, wo Sie damals waren, als die ersten Meldungen über den Sputnik-Start eintrafen?
Ja, zu Hause bei den Nachrichten auf Beromünster Mittelwelle, und bei der ersten Sichtung des Lichtpunktes am Nachthimmel in den nächsten Tagen durch meinenVater sauste ich aus der Badewanne in den Garten.

War Sputnik zu Hause am Küchentisch ein Thema? Wie hat man darauf reagiert? War es eine Bedrohung, weil die Sowjetunion die Nase vorne hatte?

Mein Bruder ist fünf Jahre älter als ich und war daher in den frühen Jahren für mich technisch inspirierend. Alle waren natürlich damals den von Agentur Tass orchestrierten Kampagnen über unsere Medien ausgeliefert. Die Wirklichkeit war viel nüchterner, wie wir vor allem seit 1969 und 1989 viel genauer wissen. Die damaligen Führer in Russland waren Ingenieure (das einzig positive, was man über diese Diktatoren sagen kann), während in den USA vor allem Juristen regierten und den Raketenpionier Wernher von Braun im Sommer 1956 daran hinderten, mit seiner Rakete den ersten Satelliten zu starten – nur weil einer Lobby nicht passte, dass er Deutscher war. Der Sputnik-Schock war vonAnfang an eher ein Propagandaerfolg – tragisch für Leute wie von Braun, die das von Anfang an wussten.

Schon im November doppelten die Russen mit Sputnik 2 und der Hündin Laika an Bord nach, während im Dezember 1957 die erste amerikanische Vanguard- Mission fehlschlug. Zweifelten Sie an den Fähigkeiten der Amerikaner?

Damals war ich vielleicht noch zu jung dazu, aber nicht zu jung, um schon sehr früh Widersprüche in der Berichterstattung zu bemerken, welche einem in den kommenden Jahrzehnten ein immer richtigeres Bild zeichneten.Als Erstes fiel mir auf, dass bei russischen Fehlstarts oder Teilerfolgen immer von Sensationen gesprochen wurde, während bei der amerikanischen Raumfahrt Erfolge ignoriert und Fehlschläge ausgeschlachtet wurden. So ging das natürlich nicht, um einen Jungen und an den Fakten Interessierten hinters Licht zu führen.

Die Russen landeten mit dem ersten Menschen im Weltraum (Gagarin), der ersten Fotografie der Mondrückseite, mit der ersten Frau und dem ersten Weltraumspaziergang weitere Primeurs. Sie als Amerika-Fan muss das zutiefst verletzt haben?

Heute wissen wir, dass dies die letzten Stunts waren, die Chruschtschow vor seiner Absetzung 1964 noch lancieren konnte – und zum Teil auf recht unspektakuläre Art. Vergleichen Sie jenes Bild der Mondrückseite einmal mit einer heutigen Mondkarte: Jede Pizza passt besser! Die erste Frau, Valentina Tereschkova, musste sich eher missbraucht vorkommen, denn sie wurde als hübsche Arbeiterin – nur für den Fallschirmabsprung trainiert – praktisch unvorbereitet abgeschossen. Es ging ihr sehr schlecht, und in der eher frauenfeindlichen russischen Raumfahrt spielen weibliche Kosmonautinnen seither eine winzige Rolle – ganz im Gegensatz zur westlichen. Ein Amerika-Fan wurde ich erst zunehmend nach meiner ersten Reise in die USA 1965, als ich u.a. das Raumfahrtzentrum am Cape besucht habe und zu verstehen begann, was die Zurückgebliebenen in aller Welt an diesem Land auszusetzen haben, um es dann 20 oder 30 Jahre später etwas schlechter zu kopieren.

«Wir sind die Marsmenschen»

In den 60er-Jahren holten die Amerikaner mit dem Mercury-, dem Gemini- und mit dem Apollo-Programm gewaltig auf und hatten mit der ersten Mondlandung am 20. Juni 1969 dann endgültig die Führung übernommen. Wie war diese gewaltige Leistung in so kurzer Zeit möglich?

Ganz einfach: Weil sie eben dem tatsächlichen Stand der technologischen Basis der beiden Länder entsprach.

Wenn man bedenkt, mit welch primitiven Mitteln – ich spreche damit die im Vergleich zu heute schwachen Computerleistungen an – ein solch waghalsiges Abenteuer wie die Mondlandung durchgeführt wurde: War da nicht auch viel Glück dabei?

Wenn man nur einen Satelliten starten oder den Mond «irgendwo» treffen will, stellt das noch nicht so hohe Anforderungen an die Bordcomputer, da hilft noch relativ rohe Steuerung. Natürlich: Glück braucht man neben Qualität auch bei der Raketen-Hardware. Die Nasa hat aber nicht ganz per Zufall fast oder ganz im Alleingang alle Planeten von Merkur bis Neptun besucht, sechs Zweiermannschaften erfolgreich auf dem Mond gelandet, eine siebte wenigstens heil zurückgebracht und schon seit 26 Jahren den einzigen bis heute bemannt fliegenden Spaceshuttle allen enormen technischen Herausforderungen zum Trotz nutzbringend betrieben.

Warum erhielt der Mond seit 1972 nie mehr Besuch von Menschen? Ist er für die Wissenschaft zu wenig interessant?

Nein, aber er war für den Rest der Menschheit nochmals für 50 Jahre eine Schuhnummer zu gross, auch wenn es für Neil Armstrong «nur ein kleiner Schritt» und dank der Nasa für die ganze Menschheit wenigstens ein virtueller Sprung war. Die damaligen Flüge waren wegen der schmaleren raumfahrtindustriellen Basis noch teurer als heute und daher ein Spielball der Politik. Dank dieser historisch nicht unüblichen Explorationspause war immerhin sichergestellt, dass die 381 kg Mondgesteine von damals gründlich untersucht wurden, bevor man den Mond für immer besiedelt. Die Vorbereitungen für das kommende Jahrzehnt laufen dank der Begeisterung aller Beteiligten in den USA seit bald vier Jahren erstaunlich planmässig.

Ist eine Reise von Menschen auf den Mars überhaupt möglich, wenn man bedenkt, dass sie mit dem erzwungenen Aufenthalt auf dem roten Planeten mindestens zwei Jahre dauern würde? Kosmonauten, die nur schon einige Monate im Weltraum sind, können kaum selber aus der Raumkapsel aussteigen.

Kosmonauten, ja, aber die Shuttle-Astronautin Shannon Lucid z.B. stieg nach sechs Monaten im Shuttle und auf der «Mir» recht sicheren Schrittes die Treppe hinunter und zum Mikrofon. Nach vier Jahren Erfahrungen mit den Marsautos unter 3/8 irdischer Schwerkraft weiss man heute recht gut, was Astronauten dort oben erwartet. Bis es so weit ist, wird man etwa ein Jahrzehnt Erfahrung mit Daueraufenthalten auf dem Mond haben. Alle Negativprognosen seit 46 Jahren bemannter Raumfahrt haben sich als falsch erwiesen, und – wie es aussieht – dürfte sich der Trend fortsetzen.

Hinzu kommt der psychische Stress: Zwei Jahre auf engstem Raum zusammenleben, das hält ja keiner aus.

Es gibt Leute, die 40 Jahre in einem Büro mit Amtsschimmel überlebt haben! Die etwa 80Astronauten, die ich kennengelernt habe, sind vom Schrot und Korn der ersten Polarforscher, die auch zum Teil zwei Jahre unter noch viel, viel schwierigeren Bedingungen überlebt haben.

Was sind seit den grossen Tagen der Mondlandung die grössten Leistungen/ Errungenschaften der Weltraumfahrt?

Ohne Überwachungssatelliten hätte es keine kontrollierbare Abrüstung gegeben, und die Menschheit hätte den Besitz vonAtomwaffen kaum ohne ganz gefährliche Konflikte überlebt. Wettersatelliten haben dank Vorwarnung Hunderttausenden das Leben gerettet. Kommunikationssatelliten übertragen Radio- und TV-Sendungen rund um den Globus und haben den Niedergang des Sowjetkommunismus ganz eindeutig beschleunigt. Ohne Navigationssatelliten kein GPS, ohne Mondflug keine Trägheitsnavigation. Studien zu beiden Seiten des Atlantiks haben ergeben, dass jede in die Raumforschung investierte Währungseinheit das Bruttosozialprodukt der betreffenden Länder um durchschnittlich den vierfachen Betrag vergrössert hat. In der Zukunft könnten sich die Investitionen in fast beliebiger Grössenordnung auszahlen, wenn eines Tages ein grosser zivilisationsbedrohender Kometen- oder Planetoideneinschlag verhindert werden kann. Solche sind über die Jahrtausende und Jahrmillionen immer wieder vorgekommen, und ihre Verhinderung ist mittelsAblenkung möglich, aber nur, so lange Raumfahrt betrieben wird.

Oft hört man die Kritik, dass die Milliarden, die für die Erforschung des Weltraums ausgegeben werden, besser in Entwicklungsprojekte in Afrika gesteckt würden. Ihr Kommentar?

Ausgerechnet: «Schnee für Afrika», stellvertretend für kontraproduktiv gut gemeinte Hilfsprojekte. Ist es denn so schlimm, dass verhältnismässig kleine Beträge im Bereich von wenigen Prozenten der Militäraufwendungen oder auch nationaler Sozialprogramme für etwas Gescheites und erst recht für unsere Zukunft ausgegeben werden?

Wie sieht die Zukunft der Weltraumfahrt aus? Erweiterung unseres Lebensraumes auf das ganze Planetensystem. Schaffung von «Oasen» wie Dubai oder LasVegas auf der Erde. Der erneut offene Horizont ist gut für die menschliche Psyche – und für die Begeisterung der Jugend, die vielleicht mehr als nochmals 100 Jahre Rahmdeckeli sammeln will.

Sind wir allein im riesigen Kosmos? Man hat ja bisher noch nicht mal eine einzige Bakterie ausserhalb der Erde gefunden?

Die Suche hat erst angefangen, und die Marsmenschen sind sowieso wir. Ob allein oder nicht – den Möglichkeiten tut das keinen Abbruch.

Was stecken Sie sich für persönliche Ziele für die Zukunft?

Beruflich aktiv bleiben zu können bis zur Wiederaufnahme neuer Mondflüge, wenn ich 75 oder 80 bin. Dann bei halbwegs guter Gesundheit noch ein paar Jahre zuschauen, was die Menschheit mit ihren Möglichkeiten anfängt und wie sie die Schäden ihrer ewigen Rückständigkeit minimiert.

Zur Person

Name/Vorname: Stanek Bruno
Geburtsdatum: 9. November 1943
Wohnort: Arth
Beruf: Dr. Mathematiker, Softwareautor, Verleger
Hobbys: Sprachen, Wandern, Reisen, Beruf
Zivilstand/Kinder: verheiratet, zwei erwachsene Söhne
Lieblingsessen: alles Gesunde ohne Käse und Schokolade
Lieblingsgetränk: Wasser u. v. m.
Lieblingsfilm: Dokumentarfilme
Bevorzugte Homepage: täglich wechselnd aus etwa 20

Mathematiker und Buchautor

Der bald 64-jährige Bruno Stanek wurde bekannt durch seine fundierten und spannenden Kommentare über das Mondlandeprogramm derAmerikaner im Schweizer Fernsehen. Er ist sporadisch immer noch am Radio/TV präsent. Die Astronomie und im Speziellen die (bemannte und unbemannte) Weltraumfahrt sind Hobby und Beruf zugleich. Der studierte Mathematiker ist selbstständiger Softwareproduzent, Buchautor, Verleger und hält Vorträge. Er hat seit 1969 rund ein Dutzend Bücher geschrieben, unter anderem die bei der «RigiPost» erschienenen Werke «Sparer leben gefährlich» und «Wieviel Irrtum braucht der Mensch» sowie die DVD «Flugjahre zum Mond», welche die früher erschienene DVD «Planetenlexikon » (Astrosoftware Stanek) ergänzt. Am 9. November wird Bruno Stanek im Pfarreizentrum Eichmatt in Goldau ein abendfüllendes Programm mit Videos und Vortrag zur aktuellenWeltraumfahrt, ihren Resultaten und einem Ausblick in die Zukunft (unter anderem über dieWiederaufnahme von Mondflügen im kommenden Jahrzehnt) veranstalten. Türöffnung: 19.00 Uhr. (ste)

Näheres unter www.stanek.ch.

Bote 29. September 2007, Seite 1 + 9