Zwei Stunden von Arth entfernt lebte 1783 auf einem Berg eine arme, kranke, von ihrem Manne zärtlich geliebte Frau. Die Krankheit liess keine Hoffnung übrig, daß sie das Ende ihrer Schwangerschaft, der sie sich näherte, erreichen werde. Man rief endlich den Arzt in ihre Hütte, die weit entlegen war. Er fand ihren Zustand hoffnungslos und verschwieg es dem Manne nicht, indem er ihn auf die schwere Trennung vorbereitete. “Inzwischen”, sagte er ihm, “müssen wir danach trachten, dass ihr nicht auf einmal einen doppelten Verlust erleidet. Lasst mich es schnell wissen, sobald die Frau gestorben sein wird. Vielleicht kann ich mit Gottes Hilfe noch das Kind retten. Zaudert ja keinen Augenblick, sonst würde, ich sage es euch zum voraus, all mein guter Wille nichts nützen.”

Drei Tage nacheinander besuchte der Arzt die Leute und fand die Frau im schlimmsten Zustand. Am vierten Tag erfuhr er auf dem Weg, sie sei gestorben. Er stieg, so schnell er konnte, die beschwerliche Höhe hinauf und kam dort ganz erhitzt an. Es war ihm bange, er würde trotz der Eile doch zu spät kommen. Alles im Hause war in tiefer, trauriger Stille. – Er rief! Endlich erschien der Mann mit Tränen in den Augen. “Hier ist es!” sagte er zum Arzt. “Wer?” fragte dieser. “Mein Kind, hier in diesem Winkel!” Der erstaunte Arzt schrie: “Wie? Durch welches Wunderwerk?” “Der Priester”, antwortete der Mann, “der meiner Frau in ihren letzten Augenblicken beistand und sie sterben sah, gab mir zu verstehen, dass ihr bei euren vielfältigen andern Beschäftigungen nach drei fruchtlosen Wanderungen heute vielleicht nicht oder doch zu spät kommen dürftet. Er munterte mich darum auf, das selbst zu versuchen, was ihr mir zu tun versprochen hattet. Der Priester ging weg, und ich war allein neben dem Leichnam meiner Frau, der jetzt das Grab unseres Kindes werden sollte. Ich warf mich auf die Knie. Zitternd griff ich nach meinem Rasiermesser. Gott hat meine Hand geleitet! Ich zog mein Kind aus seinem Gefängnis, worin es noch lebte.” – Mehr konnte er nicht sagen. Das Schluchzen erstickte beinahe seine Stimme. Der Schmerz, die Freude und das Erstaunen über seine kühne Tat setzten gleichzeitig sein Vaterherz und seine eheliche Zärtlichkeit in heftigste Bewegung. Dieses so teuer erkaufte Kind, ein lieblicher Knabe, kam mit dem Leben davon.

(nach Meyer von Knonau)