(GTA) Je arktischer die Temperaturen desto häufiger bin ich online unterwegs. Was dabei so zusammenkommt an Eindrücken ist teils amüsant, teils befremdend. In deutschen Internet-Zeitungen lese ich von Mindestlohnvereinbarungen und – in sich schlüssig – von Bestrebungen, auch die Honorare der Top Manager zu reglementieren. Da ist von absolutem Festhalten am Atomausstieg die Rede, trotz weltweiter Aufrufe, fossile Brennstoffe zu reduzieren. Dort wird der Aufschwung besungen – der übrigens nicht von Amtsinhabern herbeigezaubert wurde sondern das Produkt grenzübergreifender Wirtschaftskreisläufe ist – und hier erschüttern mich Meldungen über die zunehmende Verwahrlosung von Kindern und benachteiligten Familien. Dem Präkariat fehlt es offensichtlich an Zeit und Gelegenheit, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Schuld daran ist meist die psychische Belastung durch die allerorts spürbare soziale Kälte.

Die Hippies und Alt-68er sind mittlerweile geläuterte Eltern bzw. Grosseltern und finden – wahrscheinlich basierend auf ihrer eigenen keuschen und drogenfreien Vergangenheit – dass unter 16 ein Kinobesuch unter Gleichaltrigen das Vorspiel für ungehemmte Körperkontakte sein könne und die Experimentierfreudigkeit der Teenager auf gewissen Gebieten per Gesetz zu beschränken sei. Beim interkulturellen Austausch wäre das zwar gar keine schlechte Strategie, denn im Türkeiurlaub kann eine harmlose Liebelei die Eintrittskarte ins örtliche Gefängnis bedeuten. Gleichzeitig wird massiv in Bildung investiert, hängt doch die nächste PISA-Studie wie ein drohendes Damoklesschwert über europäischen Schulstuben. Um in Zukunft bestehen zu können braucht es Eigenverantwortung und Initiative. Zur Prime time flimmern Castingshows über die Bildschirme, „Helden“ retten die Welt und „verzweifelte Hausfrauen“ intrigieren auf Teufel komm raus. Germany’s next Top Model oder Superstar sind Traumberufe unter jungen Mädchen, pfeif’ aufs Abitur. Kreativität wird gross geschrieben und in Freizeitkursen für Ausdruckstanz oder Spontanmalen gepflegt. Verwirrende Signale, vor allem für unsere Schutzbefohlenen. Kein Wunder verweigern sich Heranwachsende zunehmend dem Dialog mit Erziehungsberechtigten und ausgewiesenen Pädagogen.

Nicht nur sie, auch ältere Semester wie ich sind desorientiert, besonders, wenn sie sich in die internationale Berichterstattung vorwagen. Zu widersprüchlich sind die Informationen. Das Christkind kommt bald, Spendenaufrufe wohltätiger Institutionen flattern stapelweise ins Haus, Patenschaften sollen die Not in der 3. Welt lindern. Wo sind sie denn alle hin, die 211 Milliarden Euro, die seit 1990 in die Entwicklungshilfe nach Afrika geflossen sind? In Waffenkäufe statt Brunnenbau? Rechnerisch nicht unmöglich, denn etwa gleichviel verschlangen die Kriege, die zeitgleich an unterschiedlichen Schauplätzen auf dem Kontinent gewütet haben.

Nun tagt sie wieder, die internationale „Geberkonferenz“. An die Grosszügigkeit der Staatengemeinschaft wird appelliert, 5,6 Milliarden Dollar erhofft sich die palästinensische Führung in den kommenden 3 Jahren um autonome, funktionierende Strukturen in biblischen Landen zu etablieren. Dass im Gazastreifen nicht gemässigte, friedliebende Herren das Sagen haben scheint die Politiker in ihrer vorweihnachtlichen Stimmung nicht weiter zu stören. Dennoch beschleicht mich ein leichtes Unbehagen, denn erst kürzlich sah ich Bilder der Grossdemonstrationen zum 20jährigen Bestehen der Hamas. Was die Massen den schwarzgewandeten Freiheitskämpfern zujubelten tönte nicht eben nach besinnlichen Adventsliedern. Wobei: vielleicht skandierten sie ja doch bloss eine nahöstliche Variante von „Morgen, Kinder, wird’s was geben…“