Anna Baumann hat dem Tierpark Goldau ein Gesicht gegeben. Am Freitag hat sie den Park Richtung Biosphärenreservat Entlebuch verlassen.

Erhard Gick, Bote der Urschweiz

Sie verlassen den Tierpark – mehr mit einem lachenden oder mit einem weinenden Auge?

Beides. Ich freue mich sehr auf meine neue Tätigkeit. Wenn man etwas abgeschlossen hat, gibt das ein erfüllendes Gefühl. Ich bin ein Mensch, der im Heute lebt und nicht in der Vergangenheit. Es ist gut, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Jetzt freue ich mich auf meine Ferien und den Neuanfang. Ich freue mich auf Madeira, Schottland, Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und Österreich.

Alles miteinander? Ist das nicht etwas viel?

Nein. Eines nach dem anderen. Ich habe Zeit bis Ende Jahr (lacht). Ich hoffe, es kommt so, wie ich mir das wünsche.

Was waren die grössten Projekte, die sie verwirklichen konnten?

Eines der grössten war die neue Fischotteranlage. Oder das Restaurant Grüne Gans, welches nicht mehr wegzudenken ist und zu einhundert Prozent nachhaltig ist – das beziehe ich auf das Essensangebot. Weitere Meilensteine waren das «Mufu», das Multifunktionsgebäude, oder die Bartgeieranlage und -zuchtstation. Auf die bin ich besonders stolz, weil ich lange in der internationalen Vulture Conservation Foundation – die Organisation, die sich für die Erhaltung der vier europäischen Geierarten einsetzt – Stiftungsrätin war und immer noch die Stiftung Pro Bartgeier präsidiere. Ein spannendes Projekt war auch der Bau des Turms mit Architekt und Professor Gion A. Caminada, der auch philosophisch sehr spannende Inputs einbrachte. Des Weiteren zähle ich auch den Grosswijer-Hof dazuund die Eulen- und Kolkrabenvoliere, die Fertigstellung der Bären- und Wolfsanlage sowie den Insektenweg. Es hat viele Projekte gegeben, die ich mit meinem Team realisieren durfte.

Es fehlt aber eines?

Ja, der Eingangsbereich mit dem Bergsturzmuseum und dem Zauberwald. Darauf bin ich sehr stolz, dass das 16-Millionen-Projekt finanziert ist. Es muss jetzt nur noch bautechnisch realisiert werden. Die Investitionen von 50 Millionen Franken in den letzten Jahren haben sich gelohnt, nicht jeder Bau ist gleich attraktiv oder bedeutsam für den Besucher, aber für den Tierpark ist es ein Meilenstein in Richtung moderne Zoo-Tierhaltung und modernen Tierpark. Wichtig ist aber, dass man die Authentizität belassen konnte. Ich konnte mich bei allen Projekten immer auf ein hervorragendes und für mich das beste Team von Mitarbeitenden verlassen.

Das war auch immer mit einer Mittelbeschaffung verbunden. Was ist ihr Erfolgsrezept beim «Geld-Auftreiben»?

Das bleibt mein Geheimnis. Es war aber mein gutes Netzwerk, welches mir zum Erfolg verholfen hatte. Ich blieb beim Fundraising immer authentisch, humorvoll und schnörkellos. Das wurde geschätzt. Man muss den Leuten sagen, was man von ihnen will. Nur so viel noch: Hartnäckigkeit beispielsweise kommt bei den Leuten nie gut an, wenn man sie um Geld fragt. Der Rest bleibt wie gesagt mein Geheimnis.

Gibt es Projekte, die sie noch gerne zu Ende gebracht hätten?

Ganz viele. Ich hätte gerne den Eingangsbereich fertig realisiert oder ein Parkhaus auf dem Parkplatz Bischofshusen zusammen mit einem Wohngebäude oder eine Voliere über dem Schuttwald. Das sind einige Vorstellungen, die ich hatte. Das überlasse ich nun meinem Nachfolger.

Warum geht man, wenn man so erfolgreich ist?

Es ist immer besser zu gehen, wenn man am erfolgreichsten ist, auf dem Höhepunkt einer Tätigkeit.Was hat Sie zermürbt?Ich glaube, meine Vorgesetzten konnten mich nicht handeln. Der Stiftungsrat hatte Mühe mit meiner visionären Persönlichkeit und meinen guten Kontakten. Sie sind Bewahrer. Als Bewahrer kann man nicht erfolgreich ein Geschäft führen.

Frauen in Kaderpositionen sind immer noch in der Minderheit.

Erfolgreiche Frauen werden in der heutigen Zeit immer noch nicht oder zu wenig wahrgenommen. Als Frau muss man sich zuerst beweisen. Männer arbeiten nach dem Motto: Er kam, sah und siegte. Sie können sich fast alles erlauben. Ich habe zeitlebens für die Gleichberechtigung der Frauen im Berufsleben gekämpft. Ich bin mit meinen Brüdern und Schwestern so aufgewachsen, dass wir alle gleichwertig waren. Die Mädchen liefen bei uns nicht im rosaroten Röcklein und die Knaben im himmelblauen Hösli herum. Bei uns zu Hause hatten alle die gleichen Hosen an, um das bildlich darzustellen. Wir sind auch gleichwertig erzogen worden. Ich begreife es nicht, weshalb es Unterschiede bei Frauen und Männern im Berufsleben gibt.

Sie haben eine Arbeit zum Thema Frauen in Verwaltungsräten geschrieben. Was wäre anders, wenn im Tierpark-VR mehr oder sogar nur Frauen sitzen würden?

Die Arbeit ist dem Thema Tierpark und Aufsichtsräten gewidmet. In der Arbeit steht, wie der Job von Aufsichtsräten aussehen sollte – mit Rechten, Pflichten und Inhalten eines Tierpark-Aufsichtsrates. Wenn es Frauen in einem solchen Gremium hätte, welche die Gleichwertigkeit von Mann und Frau sehen, dann würde es Sinn machen, dass es mehr Frauen gäbe. Wenn aber Frauen im Gremium sind, mit dem Gefühl, sich als Frau profilieren zu müssen, die über andere herziehen oder andere Frauen besonders kritisch beurteilen, dann funktioniert es nicht. Es sind auch die Frauen, die zu Hause ihren Männern kundtun, was diese zu tun und zu lassen haben. Das ist nicht meine Welt. Ich begegne allen Menschen auf Augenhöhe.

Wie sind Sie mit Kritik oder sogar mit Drohungen von militanten Tierschützern umgegangen? Sie haben sich auch gegen das Jagd­gesetz ausgesprochen?

Ich erhielt Drohungen, als wir die Bären- und Wolfsanlage eröffneten. Mir wurde gedroht, dass sie mich umbringen würden, wenn mal etwas mit einem Wolf passieren sollte. Ich vertrete einen klaren Standpunkt. Es ist noch nie ein Mensch von einem Wolf gefressen worden, mit Ausnahme des Rotkäppchens und der Grossmutter. Ich habe die Kritik angenommen, versuchte, mit den Kritikern zu reden. Ich war zudem nicht komplett gegen das neue Jagdgesetz, sondern gegen Teile des Inhalts, die ich transparent machen wollte. Ich habe auch mit sehr vielen Jägern das Gespräch geführt, die auch kein einheitliches Auftreten hinsichtlich des Jagdgesetzes hatten. Ich hatte immer versucht, mir eine Meinung zu bilden, als Zoo-Schweiz-Präsidentin. Meine Äusserungen sind nicht als Privatperson oder als Tierpark-Direktorin erfolgt, sondern in der erwähnten Funktion.

Kritik kam aber vor allem aus der Landwirtschaft.

Ich habe vollstes Verständnis für alle Bauern, deren Tiere der Wolf gerissen hat. Bei dem Anblick erschaudert man. Das ist grauenvoll. Ich bin auch der Ansicht, dass man mit 160 Wölfen in der Schweiz zu viele Wölfe hat. Wenn sie sich weiter vermehren, muss man etwas dagegen unternehmen. Eine solche Polemik hat auch immer zwei Seiten. Ich finde, man muss beide Seiten begreifen und nicht hardcoremässig auf einer Seite herumreiten. Und ja, ich habe auch schon militanten Tierschützern den Hörer aufgelegt, weil es schlicht unmöglich war, mit ihnen zu diskutieren. Sie traten in keinen Dialog.

Wo beobachten Sie Tiere lieber, im Zoo oder in der freien Natur?

(Nachdenklich) Menschenaffen beispielsweise lieber im Zoo. Ich würde sie nie in der Natur stören. Alle anderen Tiere gerne in der Natur. Ich will aber auch nicht um jeden Preis in den Lebensraum eines Tieres eindringen. In der Natur sollen es Zufallsbegegnungen sein, das ist bereichernder, als auf Pirsch zu gehen und um jeden Preis Tiere aufzustöbern. Man muss aber auch die andere Seite sehen. Zoos haben den Auftrag des Artenschutzes. Es ist ganz wichtig, dass es Zoos gibt, die weltweit ver­netzt sind und Zuchtbücher führen, damit die Tiere überhaupt am Leben bleiben. Ohne Zoos wären schon viele Tierarten ausgestorben. Die Zoos unternehmen viel, um den Tierbestand in der freien Wildbahn zu stützen.

Haben Sie ein Lieblingstier?

Den Bartgeier und die Vogelwelt allgemein. Das ist für mich ein Sinnbild von vogelfrei, ein Bild, wie ich bin. Ich lasse mich nicht einengen, in ein Korsett einbinden. Die Freiheit ist mein höchstes Gut.

Im Entlebuch gibt es fast keine Wildtiere, wollen Sie jetzt dort welche ansiedeln?

Nein. Es hat genug grosse und kleine Tiere im Entlebuch. Ich habe überhaupt nicht vor, Wildtiere anzusiedeln. Es wäre ein Traum, wenn sich der Bartgeier im Entlebuch niederlassen würde. Es ist mein Wunsch, dass er dort einen Horst besiedelt. Es hätte nebst den Adlern sicher Platz für ein Bartgeierpaar.

Was muss man tun, um die Biodiversität in der Schweiz zu retten?

Sehr viel. Es ist schon mehr als fünf vor zwölf. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, die Biodiversitätsflächen von 12 bis 13 Prozent auf 25 bis 30 Prozent zu erhöhen, dann haben wir langfristig als Menschen verloren. Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage. Zerstören wir sie selbst, dann ist das schlimm. Es ist meine Lebensaufgabe, die Biodiversität in der Schweiz zu fördern. Deshalb nehme ich diese Herausforderung an und bin 100 Prozent davon überzeugt, dass wir im Entlebuch vieles dazu beitragen können. Es ist der einzige Ort in der Schweiz, wo so viele Gemeinden es miteinander geschafft haben, ein Unesco-Bioreservat zu begründen.

Anna Baumann hat letzten Freitag den Tierpark Goldau Richtung Entlebuch verlassen. Bild: Erhard Gick

ZUR PERSON

Name: Anna Baumann
Geburtsdatum: 11. August 1965
Zivilstand: ledig
Wohnort: im Moment Meggen, bald im Entlebuch
Beruf: meine Berufung
Hobbys: Arbeiten, Bartgeier, Lesen, Wein
Lieblingsessen: Fisch an Zitronenbutter mit Petersilienkartoffeln
Lieblingsferienort: überall auf der Welt, wo es schön ist