Schuld und Sühne
Nicht nur die dreisten Zauberlehrlinge, auch Skeptiker, Abtrünnige, Gottlose sollen für ihre Arroganz büssen, entweder im Fegefeuer reingewaschen oder auf immer in die Hölle verbannt werden. Wie konnten sie sich nur so von ihrem Wissensdrang, ihrem Leichtsinn treiben lassen, die göttliche Vorsehung sabotieren und dem Allmächtigen ins Werk pfuschen?
Gläubige begreifen Experimente, die den Spitzentechnologien den Weg bahnen, grundsätzlich nicht als Chance sondern als Grenzübertretung. Dabei trotzt der Mensch seit jeher den Naturgewalten und passt die Umwelt seinen Bedürfnissen an. Statt vor der nächsten Flutwelle zu erzittern, baut er Dämme und Frühwarnsysteme, statt schicksalsergeben nach Zeichen des nahenden Weltunterganges zu suchen und sich auf päpstlichen Rat hin der “Hoffnung” zu bedienen, werden Marsmissionen geplant, Friedensverhandlungen geführt. Und obwohl manchenorts als dekadent verschrien, ist es den sich wandelnden Sitten zu verdanken, dass Hexen nur noch zur Fasnacht auftanzen und nicht für schlechte Ernten oder totgeborene Kälber brennen müssen. Esoterik ist eine boomende Branche, mit dem Übersinnlichen wird kokettiert und geworben, doch kein halbwegs vernünftiger Grossstädter fährt zur Sonnenwende auf die Rigi, um sich mit Trollen und Bergnymphen zu treffen. Es ist das kollektive Erleben, der “Event”, der ihn lockt.
Konsens, nicht Dogma
Die institutionalisierten Religionen pochen stets auf ihre historische, kulturstiftende Bedeutung, als Hort ewig gültiger Wahrheiten sollen sie gewürdigt werden. Auch die Sklaverei und die untergeordnete Rolle der Frau waren geschichtlich verankert, beides wurde dank mutigen Reformern überwunden. Moral und Ethik stehen in einem Kontext, sie werden uns nicht von einer höheren Instanz diktiert, sondern ständig neu vereinbart. Heilslehren hingegen bleiben unverändert, und so steht unser Schicksal für Christen seit 2000 Jahren fest – der jüngste Tag wird kommen, wenn’s nach ihnen ginge lieber heute noch als morgen. Weltuntergang – der kindliche Wunsch, dass das Licht, wenn’s denn halt sein muss, wenigstens für alle gleichzeitig ausgeht? Dass irgendwer alles Unerledigte noch nachholt, diesen die “gerechte” Strafe, jenen die “verdiente” Belohnung erteilt?
Wir sollten die fortschrittsfeindlichen Voten der Religionshüter als das erkennen, was sie sind, Drohgebärden, die sich schamlos unserer tiefempfundenen Fragilität bedienen. Erst ohne Gottesbegriff und durch Selbstermächtigung ist eine Existenz ohne Angst möglich. Denn wer sich das Mögliche zutraut, fühlt sich dem Unmöglichen weniger ausgeliefert. Die Entscheidungsfreiheit macht, dass man sich als Mensch, und nicht als Rädchen in einem unergründlichen Plan erfährt, und erst dadurch bekommt ein Einzelleben im Diesseits eine solch unermessliche Bedeutung.
Glaubenskonstrukte hingegen schwächen den Menschen, wenn sie Demut fordern und morbide Endzeitvisionen verbreiten. Der Mensch, ein erbärmlicher Wurm, Spielball eines Willens, der blinden Gehorsam verlangt und danteske Vergeltung in petto hat. Jämmerliche, zerrissene Kreaturen, die sich in die Vorstellung flüchten, als Krone der Schöpfung einen besonderen Part auszuführen, sich aber gleichzeitig als nackt und sündig erfahren.
Mind control?
Die Apokalypse – die ultimative Sanktion gegen Freigeister, Ungehorsame und Querschläger, die gefährlichsten System- und Staatsfeinde. Wenn die Kerker und Knüppel versagen, dann halt Psychoterror von “Gottes” Gnaden. Die Klimakatastrophe als 2. Diluvium, C02-Zertifikate als Ablasshandel. Vielleicht haben jene Pessimisten recht, die dem Menschen die Fähigkeit zum selbstbestimmten Leben absprechen, vielleicht folgt tatsächlich einer Religion die nächste auf dem Fuss, spontan oder durchs Establishment gesteuert, zur Ruhigschaltung der Massen. Im Westen birgt das invididuelle Glücksstreben auch das Risiko des Versagens vor sich und unseresgleichen, da sind Trostspender vielen willkommen.
So möge sich die “Macht” denn offenbaren, falls es ihr am Mittwoch in den Terminkalender passt. Denn gegen himmlische Gerichte habe ich nichts einzuwenden – solange sie kulinarischer Art sind.
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