von Dr. Lucrezia Meier-Schatz, Generalsekretärin der Pro Familia Schweiz und Präsidentin der CVP-Arbeitgruppe “Familienpolitik” sowie der CVP des Kantons St. Gallen
Im Jahre 1988 stellte CVP-Nationalrat Joseph Deiss die erste Studie über Kinderkosten – sie wurde im Auftrag der Pro Familia Schweiz erarbeitet – vor. Seither machen die Kinder und ihre Folgekosten regelmässig Schlagzeilen. Und doch trägt diese zähe Sensibilisierungsarbeit nicht die verdienten Früchte. Die Realisierung des Prinzips “ein Kind – eine Zulage” und die Festlegung eines Minimalansatzes auf Bundesebene scheitern immer wieder an den von Föderalisten und verschiedenen Verbänden errichteten Hindernissen.
Die neue, vom Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) veröffentlichte Studie “Kinder, Zeit und Geld” hat während der letzten zehn Tage fette Schlagzeilen und unzählige Leserbriefe hervorgerufen. Leider hat sie nicht dazu beigetragen, gewisse Grundsatzfragen auf den Punkt zu bringen. Die von den Eltern geleistete Investition in die Zukunft entspricht zu allererst einem tiefen Wunsch danach, von Kindern begleitet zu werden, zuzusehen, wie sie sich entfalten, wachsen und ihren Lebensplan verwirklichen. Das Kind ist Quelle der Freude – natürlich auch der Konflikte, Probleme, Schwierigkeiten. Vor allem jedoch ist das Kind Träger einer Zukunft und Garant für eine Gesellschaft, die sich weiterentwickelt.
Zu dieser gefühlsmässigen Investition kommt eine finanzielle Investition hinzu, die sich aus zwei spezifischen Aspekten zusammensetzt, einmal der direkten Investition – das sind jene Kosten, die Kinder unmittelbar verursachen – und dann der indirekten Investition, die dem Einkommensverlust infolge des Vorhandenseins eines oder mehrerer Kinder entspricht. Seit vielen Jahren schon verfügen die Familienministerien unserer Nachbarländer in diesem Bereich über genaue Zahlen. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat also mit seiner Studie lediglich einen Mangel behoben. Diese Zahlen sind zur Formulierung einer kohärenten Familienpolitik sehr nützlich. Sie dienen als Diskussionsbasis und erlauben es, Rückschlüsse auf die Konsequenzen dieser direkten und indirekten Investition zu ziehen. Leider haben die Autoren der Studie – und dies ist der grösste Vorwurf, den man an deren Adresse richten muss – dabei nur an eine direkte und unmittelbare Kompensation der Kinderkosten gedacht. Zu den von der Initiative Fankhauser vorgeschlagenen 200 Franken pro Monat und Kind kommen die Forderungen der Pro Familia (400 Franken), der Sozialdemo-kraten (500 Franken), des Büros BASS (600 Franken) und der Christlichen Gewerkschaften (1000 Franken) hinzu! Beträge, die alle auf einer Analyse und spezifischen Gegebenheiten beruhen. Trotz der guten Begründung der Forderungen drängt sich eine konzertierte Aktion der verschiedenen Gruppierungen auf, um einer nationalen Familienpolitik, die dieses Namens würdig ist, zum Durchbruch zu verhelfen. Denn die Forderung verschiedener Beträge ist wenig geeiget, dazu beizutragen, die heutige Situation zu deblockieren.
Um Boden gut zu machen und endlich eine stärkere Sensiblisierung der öffentlichen Meinung zu erreichen, hätten die Autoren der Studie auch die Folgen der freiwilligen Selbstbeschränkung der Eltern aufzeigen müssen. Dadurch, dass sie diesen Aspekt ausser Acht liessen, haben sie leider Zahlen vermittelt, die eher Missbilligung denn Verständnis hervorgerufen haben. Die freiwilligen Selbstbeschränkungen sind Quelle der Armut für eine wachsende Zahl junger Familien. Diese wiederum kann die Entwicklung der Kinder behindern und dadurch soziale Kosten für die gesamte Gesellschaft zur Folge haben. Die Selbstbeschränkung der Eltern hat zudem langfristige Folgen, da die Sparmöglichkeiten der Familien allgemein geringer sind als jene kinderloser Paare. Die Zahlen – wie eindrücklich sie auch sein mögen – geben die Realität nur unvollständig wider. Dies ist umso bedauerlicher, als man weiss, dass die Autoren der Studie alle das gleiche Anliegen haben, nämlich endlich eine Familienpolitik zu etablieren, die diesen Namen auch verdient, und die von einer grösseren Solidarität unter den verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft geprägt ist.
Die Auswirkungen der Selbstbeschränkung sind vielfältig und können einen direkten Einfluss auf das Wohlergehen der Mitglieder der Familiengemeinschaft haben. Die freiwillige Investition hat also kurz- und langfristige Folgen. Neben der beschränkten Möglichkeit der Eltern zu privater Ersparnis ist auch zu bedenken, dass das Vorhandensein eines oder mehrerer Kinder im Allgemeinen einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die beruflichen Aussichten hat. Obwohl über 56% der Mütter von Kindern im Vorschul- und im Schulalter einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit nachgehen, haben nur wenige von ihnen die Möglichkeit, für sich eine Zweite Säule einzurichten. Die Unmöglichkeit, Beiträge zu entrichten, führt dazu, dass mit Erreichen des Rentenalters die Mehrheit der Eltern gegenüber kinderlosen Paaren diskriminiert wird. Obwohl sie also eine enorme Investition in die Zukunft geleistet haben, werden sie irgendwie bestraft. Heute trägt einzig die mit der 10. AHV-Revision eingeführte Erziehungsgutschrift dieser Leistung Rechnung. Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Die Zukunft der Sozialen Sicherheit gewinnt heute wieder vermehrt an Aufmerksamkeit und bereitet infolge der demographischen Entwicklung ernsthafte Probleme. In dieser Zeit, in der die Konsolidierung der sozialen Errungenschaften von der Christlichdemokratischen Partei erbittert verteidigt werden muss – einerseits gegen die Demontageversuche der Rechten, und andererseits gegen die vermessenen, alle Bereiche der Sozialversicherungen betreffenden Ausbauwünsche der Linken – ist es unerlässlich, die Resultate dieser neuen Analyse in die politischen Überlegungen einzubeziehen. Die CVP als “Familienpartei” ist verpflichtet, alles zu unternehmen, um zu verhindern, dass die Eltern an den Rand gedrückt werden.
Man wird um kurz- und langfristige Massnahmen zur Sicherstellung eines Lebens in Würde und zur Verhinderung der Armutsfalle – Armut, die immer mehr Familien bzw. Kinder betrifft – nicht herumkommen. Kurzfristig muss auf Bundesebene unter anderem folgenden Massnahmen zum Durchbruch verholfen werden:
- Prinzip “ein Kind – eine Zulage”,
- Mutterschaftsversicherung und Mutterschaftsleistungen,
- Bedarfsleistungen an Eltern von Kleinkindern, deren Einkommen einen gewissen Betrag nicht überschreitet,
- existenzsicherndes Familieneinkommen,
- diskriminierungsfreies Steuersystem, in dem die wirklichen Kosten der Familien Berücksichtigung finden.
Die langfristigen Massnahmen müssen eine Neubeurteilung des Beitrages der Familien an die Gesellschaft beinhalten, ein Beitrag, der eine Rückwirkung auf ihre soziale Sicherheit haben muss. Das Verdienst der Studie des BSV ist es, neues Zahlenmaterial zu liefern, das eine bessere Einschätzung der Folgen der Selbstbeschränkung der Eltern und die Rechtfertigung einer konzertierten Aktion zur gezielten Unterstützung der Eltern in ihrer erzieherischen Verantwortung ermöglicht.