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Tages Anzeiger, 5. Januar 2001

Bodenständig - selbst auf spiegelglattem Eis

Martin Annen dürfte der nächste Schweizer Bob-Olympiasieger sein. Gut möglich, dass der 26-jährige Schwyzer bereits in Salt Lake City Gold holt.

Von Peter Hegetschweiler, St. Moritz

Als "Shootingstar" hat ihn unlängst gar die "Neue Zürcher Zeitung" bezeichnet. Das allerdings ist er nicht - und will es auch nicht sein. Martin Annen, obwohl erst 26, plant jeden einzelnen Schritt sorgfältig, geht seinen Weg seit 1993 konsequent. Im vergangenen Winter führte ihn dieser erstmals aus der Anonymität eines breiten Mittelfelds im Schweizer Bobverband heraus, als er im Europacup - von der Öffentlichkeit kaum beachtet - Sieg an Sieg reihte. In diesem Winter hat er sich nun auch aus dem Schatten von Götschi, Reich und Rohner gelöst. Erst liess er seine nationalen Rivalen in verbandsinternen Selektionsrennen in La Plagne und Winterberg hinter sich, danach bestätigte er sich definitiv als neue Nummer 1 im SBSV, als er bei den Weltcuprennen in Igls und Cortina selbst Deutschlands Bobgrössen Langen und Lange in packenden Duellen um Hundertstelsekunden niederrang.

Dass der Schweizer Bobsport alle Chancen hat, die Ära der Olympiasiege von Wicki (1972), Schärer (80), Fasser (88) und Weder (92/94) fortzusetzen, zu einer Zeit, da sich die Karriere eines Reto Götschi oder Marcel Rohner ihrem Ende nähert, hat einen simplen Grund. Jungschwinger Martin Annen, wiewohl im Sägemehl vom elften Altersjahr an erfolgreich, hatte als grosses Ziel stets eine Olympiateilnahme vor Augen. Und wie der Zufall so spielt: Viererbobspezialist Marcel Rohner, der in Baar wohnt, entnahm der lokalen Presse, dass in Arth am andern Ende des Zugersees ein junger Schwinger namens Annen durch ein Spitzenergebnis bei der Aushebung geglänzt hatte. Also klopfte der Pilot des St. Moritz Bobsleigh Club, stets auf der Suche nach neuen Talenten, beim Schwyzer an. Mit Erfolg. Bereits 1995 wurde Annen auf dem Rohner-Vierer Schweizer Meister.

Annen - kein Mitfahrer

Doch einer wie Annen ist kein Mitfahrer, einer wie er nimmt sein Geschick lieber selbst in die Hand. Ihm war, ehrgeizig, aber immer auch Realist, schnell einmal klar, "dass ich es nur als Pilot an Olympische Spiele bringen kann". Der Grund: Trotz seiner knapp 100 kg sah sich Annen bei einer Grösse von 1,81 m in keiner Weise als d e r Topathlet, den die besten Piloten unbedingt auf ihrem Schlitten haben wollen. Und so folgte noch im gleichen Jahr nach der ersten WM als Hintermann (Rang 11 mit Rohner in Winterberg) der erste Schritt in die Selbstständigkeit: Der Schwyzer absolvierte zum Saisonende die Bobschule.

Ganz so schnell - zu Recht, so sieht es auch Annen heute - geht der Wechsel von der Bremse an die Lenkseile nicht von der Hand. Annen erklärt es so: "Was man als Anschieber, der sich ja nur auf das Athletische zu konzentrieren hat, alles lernen kann, ist enorm - und enorm wichtig für die spätere Karriere. Wer hat das beste Material? Und woher? Wer hat was für ein Beziehungsnetz? Wie gehen die Besten beim Bahnstudium vor? Auf viele dieser Fragen habe ich in dieser Zeit Antworten gefunden, bin weitergekommen. Das zahlt sich heute aus."

Der Deal mit Scherrer

Entscheidend für den Verlauf von Annens Karriere wurde dann jener Deal, den er mit Dominik Scherrer einfädelte. Der langjährige Weltcuppilot und heutige Coach des Europacupkaders konnte sich für seine letzte Saison die Dienste des kräftigen, startschnellen Schwyzers mit dem Versprechen sichern, er würde ihm anschliessend sein Material überlassen und ihm zudem sein Knowhow zur Verfügung stellen. 1997, nach der WM in St. Moritz, war es so weit: Annen absolvierte im Engadin ein einwöchiges "Intensivtraining", wie er es selber nennt. Danach war seine Pilotenkarriere endgültig lanciert, an seiner ersten Schweizer Zweierbobmeisterschaft 1998 wurde Annen Siebter. Dominik Scherrer und mit ihm der Zürcher Bobclub blieben aber auch in der Folge Annens Wegbereiter. Geformt hat ihn der heute 39-jährige Aargauer im vergangenen Winter vorab im Europacup, als er Annen zwischen Altenberg und Cortina, mitunter auf den anspruchsvollsten Bahnen zumindest in Europa, von Sieg zu Sieg führte. Und das mit viel Umsicht. Als erstmals ein Aufstieg in den Weltcup anstand, riet Scherrer ab: "Kommt zu früh, Annen kennt Königssee noch nicht gut genug." Unterstützung erhielt er hierbei vom Coach Bob im SBSV, Hans Hiltebrand, auch er Mitglied im Zürcher Bobclub. Und im Verein zeigten alle Geduld, auch Präsident Hans-Ruedi Knobel. Keine Selbstverständlichkeit, denn seit Jean Wickis Olympiasieg in Sapporo und Hans Hiltebrands letztem WM-Triumph 1987 in St. Moritz hatte man lange Jahre im Schatten des erfolgreichen Bobclubs Zürichsee gestanden. Doch jetzt gilt: Alle und alles für Annen. Ideell, finanziell. So lassen sich selbst Olympiasiege planen.

Bei den Wurzeln bleiben

Verändert hat das Martin Annen bisher nicht. Der Rummel um ihn ist ihm fast ein wenig zu viel, die Erfolge geniesst er, bewertet sie aber nach wie vor zurückhaltend. Einzig die Zielsetzung dieses Winters hat er nach den beiden jüngsten Weltcuperfolgen leicht modifiziert: "Das Wichtigste ist und bleibt für mich die Weltcupselektion für Übersee im Anschluss an die WM in St. Moritz. Im Hinblick auf Olympia 2002 muss ich die Bahn in Salt Lake City unbedingt kennen lernen. Aber einen WM-Podestplatz im Engadin behalte ich jetzt natürlich auch im Auge . . . "

Klar bleibt für Annen, dass er - wie auch immer - den Bobsport als "Amateur" betreiben wird. "Im Sommer werde ich wie im Vorjahr bei einem meiner Sponsoren, der Firma Victorinox in Ibach, in der Spedition arbeiten. Ibach ist praktisch das Nachbardorf, gute Kollegen von mir arbeiten auch dort, ich fühle mich in diesem Umfeld wohl, auch privat", sagt Annen. Eine Sportlerkarriere, wie sie beispielsweise die deutschen Spitzenpiloten von Lange bis Langen in der Bundeswehr absolvieren, kommt für ihn deshalb "nie im Leben" in Frage.

Man glaubt es Martin Annen. Einer wie er bleibt bei den Wurzeln. Und genau das macht ihn stark.

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Stefan Lindauer Webdesign

 

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