FORUM von Bruno Stanek*

Erstmals publiziert: Bote der Urschweiz – Samstag, 3. Januar 2009 – Seite 4

Das Bulletin des Verbandes Schweizer Elektrizitätsunternehmen und des Verbandes für Elektro-, Energie- und Informationstechnik wird von Leuten geschrieben, die ihr ETH-Studium mit Erfolg absolviert haben und verantwortlich dafür sind, dass aus unseren Steckdosen noch etwas herauskommt. Nach rund einem halben Jahrhundert guten Erfahrungen mit dieser Gilde ist das für mich eine gefahrlose Quelle, um exaktes Zahlenmaterial zu zitieren. Unter dem Titel «Solarstromstatistik 2007 mit markantem Zubau» erwartete ich als zu Recht eine vergleichbarere Bestandesaufnahme als anderswo:

33 Megawatt Solarzellen waren nun also Ende 2007 am Netz, dank fleissig genutzten Subventionen mehr als eine Verzehnfachung binnen zehn Jahren. Sofort sucht man da nach Vergleichszahlen. Dank einem guten Solarjahr 2007 wurden pro installiertem Kilowatt (theoretischer Maximalleistung) im Durchschnitt aller schweizerischen Anlagen 875 Kilowattstunden erzeugt. Das Jahr hat aber 8760 Stunden, sodass eine ständig scheinende Sonne theoretisch 8760 Kilowattstunden liefern würde. Ein thermisches Kraftwerk (egal welcher Bauart) ist zwar auch nicht Tag und Nacht 100 Prozent am Netz, aber immerhin meist über 90 Prozent und nicht nur 10 Prozent.Wenn eines unserer bestehenden KKW rund 1000 Megawatt abgibt, dann entsprechen die genannten 33 Megawatt Solarstrom also nicht gut drei Prozent, was schon wenig genug wäre, sondern nur drei Promille. Und das nicht etwa gemessen am viel höheren Schweizer Gesamtverbrauch, sondern nur an einer einzigen modernen Kraftwerks-Einheit wie z. B. Gösgen oder Leibstadt.

Da gibt es doch noch die Windenergie. Wir wohnen hier in der Zentralschweiz mit wunderschönem Blick vom Rufiberg ins Mittelland. Am Horizont sehe ich an schönen Tagen Dampffahnen, die neben den üblichen Schönwetterwolken winzig klein erscheinen. Kürzlich habe ich mir dort oben die rund 3000 Windräder von gut 100 Metern Höhe vorgestellt, welche die Aussicht auf einen «Nagelteppich» Schweiz bieten. Und das nur für die ins Auge gefassten paar 1000 MW Ersatz- Windenergie. Ein einziger nuklearer «Tauchsieder» mit seiner unauffälligen Dampffahne erzeugt aber ebenfalls 1000 MW. Den Vögeln wäre ein einziges Kernkraftwerk wahrscheinlich lieber als 3000 schwirrende Propeller oder heisse Solarzellen, auf die man als Vogel weder absitzen kann noch pinkeln darf.

Wie sieht nun die Realität einiger extremer Volkswirtschaften mit Blick auf Kernkraftwerke in Europa schon heute aus?

Estland hat dank russischen AKW noch genügend Strom, will diese Anlagen nun aber ersetzen, um baltische Nachbarn mit Strommangel zu unterstützen. KWh- Preis: 11 Rappen. Griechenland ist ein schlechtes Beispiel: bis zur Ölkrise auch nur 11 Rappen pro KWh, aber aus Verheizen von Öl und Gas dank guter Importlage. Dänemark fasste den Schwarzen Peter: es war 2006 zu 53 Prozent von Importstrom abhängig, vor allem aus ausländischen Kernkraftwerken. Man zahlt exorbitante 37 Rappen pro KWh. Das entspräche mehr als einer Verdoppelung unserer Schweizer Energiepreise, wo schon 25 Prozent Erhöhung für einen Aufschrei genügten. Selber hat man in Dänemark kein einziges laufendes KKW mehr, dafür sehr viele Windkraftwerke, die aber bei einer Effizienz von 17 Prozent der installierten Leistung riesige Schwankungen haben: manchmal 80 Prozent, dann wieder weniger als 1 Prozent. Musterschüler Frankreich hat dagegen 59 KKW – 13 Prozent von allen weltweit. Damit deckt man inzwischen 87 Prozent des eigenen Stromverbrauchs und kann wegen der stabilen Bandenergie sogar 18 Prozent exportieren. Italien hatte einmal vier KKW, zwei inzwischen vergammelt, die restlichen erzeugen noch 1400 MW, das sind 6 Prozent des Bedarfes. Importdefizit: 15 Prozent.

Nach Swissair- und Bankenkatastrophe wartet nun die durchaus vermeidbare Stromkrise auch in der Schweiz auf uns. Der Stromverbrauch steigt und wird mit dem künftigen Ersatz von Benzinautos durch Elektrofahrzeuge und Investitionen in die Bahnen noch steigen, während Atomstrom in der Stadt Zürich an einem Bürger scheiterte, dessen Presse oft nicht einmal Kilowatt von Kilowattstunden unterscheiden kann. Derweil genügen nicht einmal die jährlich heller werdenden Weihnachtsbeleuchtungen, um die peinlichen Fakten zu erhellen. Ausgerechnet die einzige durchgehend adäquate Lösung des Energiebedarfs, kompakt, CO2-frei und mit Ressourcen schonender Leistungsdichte, die Kernenergie, wird mit falschen Behauptungen eines «ungelösten Abfallproblems» (etwa so glaubwürdig wie das Waldsterben von 1984) verteufelt. Unerlaubterweise für die Logik werden dann aus solchen Behauptungen Schlüsse gezogen und mit falschen Entscheiden der Ausweg aus einem wirklich gefährlichen Engpass verbaut.

* Der heutige Autor Dr. sc. mat. Bruno Stanek ist als Weltraum- und Astroexperte bekannt geworden. Heute führt er in Arth ein Fachbüro für Astrosoftware.

Im «Bote»-Forum schreiben regelmässig prominente Schwyzerinnen und Schwyzer. Sie sind in der Themenwahl frei und schreiben autonom. Der Inhalt des «Bote»-Forums kann, aber muss sich nicht mit der Redaktionshaltung decken. (red)

Damalige Leserbriefe dazu:

8. Januar 2009 ()

Ein Bärendienst

(Zum «Forum» von Bruno Stanek im «Boten»)

Lieber Bruno Stanek, Sie mögen ein guter Mathematiker, Buchautor und Astroexperte sein, mit Ihren Visionen und Meinungen zur Energiepolitik der Schweiz wären wir jedoch wohl kaum zum Mond geflogen und sonst sicher nicht mehr zurück. Sie haben als renommierter Wissenschaftler dem in Aussicht stehenden Energiegesetz und der Energiepolitik des Kantons Schwyz einen Bärendienst erwiesen. Bravo!

Hans-Peter Hauri, Energieberater, Ibach

Zu viele Zahlen

(Zum «Bote»-Forum von Bruno Stanek vom 3. Januar)

Danke für die guten Denkanstösse zu unserer Energiepolitik. Die Präsentation macht mir aber ein wenig Mühe: Erfahrungsgemäss können wir uns Grössenordnungen, die in Zahlen ausgedrückt sind, schlecht vorstellen. Was drei Promille sind, können sich die wenigsten Mitbürger vorstellen. In einem leeren Teller hat es immer noch mehr als drei Promille Resten von unserem ganzen Essen. Die Atomenergie-Gegner machen uns auch konfus mit ähnlichen Zahlen, die sie aber anders interpretieren. Vergleiche müssen her oder graphische Darstellungen, dann kommen auch die Alternativen und unsere Politiker nicht mehr darum herum, sich mit den Denkanstössen, die Sie im «Bote»-Forum präsentierten, zu beschäftigen. Dann müssen auch diese Leute zugeben, dass sie ihre Kraft und unsere Steuergelder für ein paar Krümel des ganzen Kuchens (oder wie es im Titel heisst für «Gammelenergie») einsetzen.

Ich habe schon sehr früh in meiner Ausbildung einmal gelernt, dass man immer zuerst die Probleme angehen soll, die am meistenWirkung versprechen, und nicht diejenigen, die die grösste Publizität haben.ABC-Analyse sagten wir dem damals. Mit der Energiepolitik also dort ansetzen, wo am meisten Energie produziert und wo Energie zu dem Zeitpunkt produziert wird, wo wir sie auch brauchen. Heute wird eher dort angesetzt, wo man möglichst viele Leute zu Demos auf die Strasse bringt.

Karl Grau, Ibach

15. Januar 2009 ()

Gammel-Meinung

(Zum «Bote»-Forum «Gammelenergie – die Enttäuschung für das 21. Jahrhundert» vom 3. Januar)

In der Schweiz haben wir zum Glück die freie Meinungsäusserung. Da darf jeder sagen und schreiben, was er als richtig empfindet, auch im «Bote»-Forum. Prominente ebenso wie die Servelat- Prominenz nutzen diese grundsätzlich sinnvolle Plattform zu ihrer freien Meinungsäusserung. Diese Autoren haben aber auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Leser/innen. Verantwortung für eine faire und ehrliche Meinungsäusserung. Verantwortung, welche im erwähnten Bericht meiner Meinung nach gänzlich fehlte. Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Bürger/innen sich über das Thema Energie- und Klimapolitik Gedanken machen und sich informieren. Seit einiger Zeit erscheint es mir jedoch, dass bald jeder ein Energieexperte ist. DasThema ist komplexer und greift weiter als im eingangs erwähnten «Bote»-Forum, wo es einseitig und nicht wahrheitsgetreu beleuchtet wird. Nur ein Beispiel dazu sei hier erwähnt. Ein Atomkraftwerk hat einen Wirkungsgrad von etwa 34 Prozent. Berücksichtigt man noch die zitierte Arbeitsverfügbarkeit, ergibt dies ungefähr 30 Prozent und nicht die vom Autor erwähnten 90 Prozent. Die fossil-atomaren Rohstoffe neigen sich früher oder später weltweit dem Ende entgegen. Ob wir nun noch Jahrzehnte darüber diskutieren, wann dieser Zeitpunkt eintrifft oder nicht, er wird kommen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Je früher wir auf die erneuerbaren Energien umsteigen, desto sanfter und wirtschaftsfreundlicher ist der Übergang. Unsere Energiezukunft muss auf verschiedenen Pfeilern stehen. Das Potenzial der erneuerbaren Energien, Biomasse, Geothermie, Windenergie, Solarenergie, Energieeffizienz sowie eine kluge Kombination aus all dem, sind auch in der Schweiz überaus gross und langfristig für eine Vollversorgung ausreichend. Erneute Investitionen in die Atomenergie sind einseitig und eine unflexible Übergangslösung. Sie ist nicht nachhaltig, birgt grosse Risiken für eine gravierende Schädigung unseres Umfeldes und verzögert den so oder so einesTages kommenden Einsatz erneuerbarer Energien. Der Entscheid für eine angepasste Energieversorgung muss von der Gesellschaft getroffen werden. Aufgabe der Beteiligten und der Politiker ist es, konsequent, fair und objektiv über Chancen und Risiken zu informieren. Einfach ein Bulletin zu zitieren und daraus äusserst fragwürdige Vergleiche anzustellen, reicht beileibe nicht aus. Gemäss Duden wird «Gammel» als das Alte, minderwertige, wertlose, unbrauchbare Zeug definiert. Die erneuerbaren Energien sind und werden alles andere als unbrauchbares Zeug sein. Ich glaube, dass die Zeiten, als man sich über die Alternativenergien lächerlich machte, definitiv vorbei sind. Es wurden bereits prominentere Leute als der Autor der erwähnten Zeilen deswegen zurückgepfiffen. Das Wasser wird noch lange fliessen, der Wind wird noch lange wehen, die Sonne wird noch lange scheinen, auch wenn die letzten Öl-, Gas-, Kohle und Uranfelder längst stillgelegt sind.

Otmar Spescha, Energieberater, Schwyz

20. Januar 2009 ()

Gammel-Meinungen

(Zum «Bote»-Forum «Gammelenergie» vom 3. Januar und zum Leserbrief «Gammel-Meinung» vom 15. Januar)

Bruno Stanek sei Dank. Kurz und bündig, glasklar und korrekt hat er uns die Situation bei der Stromversorgung Schweiz aufgezeigt. Otmar Spescha wirft ihm in seinem Leserbrief allerdings vor, damit Unwahrheiten zu verbreiten, und fordert gleichzeitig alle Beteiligten und Politiker dazu auf, konsequent, fair und objektiv zu informieren. In seinem aufgeführten Beispiel will er aber die hohe Verfügbarkeit von Kernkraftwerken etwas kleiner erscheinen lassen und konstruiert kurzerhand zu diesem Zweck mithilfe des Wirkungsgrades eine neue Vergleichszahl. Das ist unseriös und schlechter Stil zugleich. Diese beiden Begriffe sind eindeutig definiert und sollen als solche unverfälscht für Vergleichszwecke verwendet werden. Im Forum-Beitrag ging es ausschliesslich um die Verfügbarkeit der installierten elektrischen Leistungen.

Leider hat diese Unsitte der mehr oder weniger absichtlichen Verdrehungen, Vermischungen, Beschönigung und Falschvergleiche von Werten und Grössen in der Energiediskussion Methode. Statt sich an Fakten zu halten und endlich die Vor- und Nachteile, aber auch die Grenzen aller relevanten Arten von Energieerzeugung und von Energieträgern klar zu benennen und anzuerkennen, werden eigene Ansichten zum allgemeinen Standard erhoben und Visionen zelebriert. Erneuerbare Energien haben ganz bestimmt eine grosse Zukunft, aber eben eine Zukunft. Bis endlich die machbaren und bezahlbaren von den theoretisch wünschbaren Lösungen getrennt und verwirklicht sind und diese eine ausreichende und konstante Leistung für unsere Energieversorgung bereitstellen können, dauert es noch Jahrzehnte. Bis dann, und ziemlich sicher auch nachher, werden wir um Grosskraftwerke wohl kaum herumkommen. Auch wegen den Effizienzsteigerungen und Sparmassnahmen brauchen wir vorderhand noch kein Kraftwerk abzuschalten. Im Gegenteil, wir dürfen schon froh sein, wenn wir damit je einmal den alljährlichen Mehrverbrauch der rund 40 000 Neuwohnungen und der dazugehörigen Arbeitsplätze kompensieren können. Otmar Spescha hat recht, wenn er schreibt, dass der Entscheid für eine angepasste Energieversorgung von der Gesellschaft getroffen werden muss. Aber angepasste Entscheide kann die Gesellschaft nur auf der Basis einer offenen und ohne ideologische Scheuklappen stattfindenden Information fällen, und dafür sei Bruno Stanek nochmals Dank ausgesprochen.

Ruedi Suter, Luzern