Der Reigen des ewigen Lebens

Was das Arther Mais-Labyrinth attraktiv macht, sind seine kreativ und fantasievoll gestalteten Begleitanlässe. Nach den «Nächten des Grauens» vom vergangenen Wochenende stehen jetzt «Labyrinth-Tänze» auf dem Programm. Beim Sonnenaufgang die Mitte des Labyrinths zu erreichen, ist eine aussergewöhnliche Erfahrung, welche das Frühaufstehen reichlich belohnt.

von Walter Eigel

Das Tanzen gehört zu den ursprünglichsten Freuden des Lebens. Bewegung, Körpergefühl, Anmut, Gelenkfreude, Klang und Rhythmus – das alles sind elementarste Erfahrungen, die eigentlich kein Mensch missen sollte. Das Tanzen gehört aber auch zu den Ur-Riten der Menschheit. Die wichtigen Schwellen-Ereignisse des Menschen – Geburt, Initiation, Mannbarkeit, Ehe, ja sogar Tod – und auch die Hochfeste der christlichen Kirche wurden mit rituellen Tänzen gefeiert. Eines dieser Tanz-Rituale war eben der Labyrinth-Tanz. Das Labyrinth ist ein uraltes Symbol, das der westlichen Kultur über die griechische Antike überliefert ist. Sein Ursprung liegt im Dunkeln, doch wahrscheinlich handelte es sich einen alten Initiationsritus. In einem Tanz wurde der Tod und die Wiedergeburt den jungen Menschen sinnbildhaft erfahrbar gemacht.

Der Tanz des Theseus

Am bekanntesten ist uns dieses Symbol in der griechischen Mythologie überliefert. Der kretische König Minos liess ein Bauwerk errichten, in das er den Minotaurus einsperrte, ein Monstrum halb Mensch halb Stier. Dem Untier mussten jährlich sieben Burschen und sieben Mädchen geopfert werden. Der athenische Held Theseus wagte es, dem Minotaurus zu Leibe zu rücken. Er erlegte ihn im Zweikampf und fand mit Hilfe des Fadens der Ariadne auch wieder den Ausweg aus dem Labyrinth. Der dem Tod entronnene Theseus hat auf der Heimreise nach Athen auf der heiligen Insel Delos einen Reigen getanzt, dessen Wendungen den verschlungenen Irrwegen des kretischen Labyrinths nachgebildet waren.

Der Kranichtanz

Seit der Antike wurde auf der griechischen Insel Delos dieser von Theseus gestifteten Reigen getanzt. Er ist unter dem Namen «Geranos» bekannt. Bei diesem «Tanz der Kraniche»beschreiben die Tänzer und Tänzerinnen eine Labyrinthfigur auf den Boden. Sie sind mit einem Seil, dem Ariadnefaden, verbunden. Während des Tanzes singen die jungen Männer, die Mädchen aber tanzten schweigend mit – nachts und im Schein von Fackeln. Der Chorführer führt die Tanzgruppe ins Labyrinth hinein und wieder hinaus. Er darf nicht aus dem Schritt kommen, sonst büßt er erheblich an Ansehen ein: Er hat den «Faden verloren» und damit die anderen aus der glücklichen Versunkenheit des Tanzes gerissen. Der in tiefer Nacht ausgeführte «Geranos» findet in Gegenrichtung zum Sonnenlauf statt, also in der Richtung des Todes. Das Ende des Tanzes, der Ausgang des Labyrinths, der aufgehenden Sonne entgegen, entspricht der Wiedergeburt. Der Labyrinth-Tanz symbolisiert so den Lebensweg des Menschen: er macht den jungen Menschen den Weg von der Geburt bis zum Tod und zur Wiedergeburt sinnbildhaft erfahrbar.

Der Balztanz der Kraniche

Dass der Tanz nach den Kranichen benannt wird, unterstreicht noch seine initiatorische Bedeutung. Der Kranichtanz imitiert nämlich das Balzverhalten jenes Vogels, der ein wichtiger Symbolträger ist. Sie führen ihren Balztanz, einen Spring- und Hüpftanz, im anbrechenden Frühjahr während der Nacht durch und beenden ihn bei Sonnenaufgang. Das Erscheinen der Sonne begrüssen sie mit trompetenartigem Geschrei.

Christlicher Ostertanz

Aus der mittelalterlichen Überlieferung ist der religiöse Tanz in der Art einer sinnbildlichen Wallfahrt auf den Bodenlabyrinthen der gotischen Kathedralen bekannt. Besonders interessant ist aber der Ostertanz auf einigen französischen Kirchenlabyrinthen. An Ostern wurde in den großen Kathedralen von Amiens, Chartres und Reims ein heiliger Ostertanz aufgeführt. Nach der Ostervesper tanzte der Dekan im Dreischritt durch das Labyrinth und warf dabei einen goldenen Ball als Symbol der Auferstehung den anderen Klerikern zu, die im Kreis um das Labyrinth tanzten. Die Kreisform des Balles erinnert an die neu aufgehende Sonne, die Kreisform des Labyrinths spiegelt Tod und Auferstehung Christi.

Moderner Labyrinth-Tanz

Im Rahmen des Arther IrrgARTHens wird die alte Tradition des Labyrinth-Tanzes wieder aufgegriffen. Nicht in den Tanzformen, weder des Mittelalters noch der Antike, sondern in der Grundidee des Lebensweges. Auch heute noch steht das Labyrinth im christlichen Denken als ein Sinnbild für das Leben des Menschen: ein gewundener Pfad, der plötzliche Richtungswechsel, Versuchungen und Gefahren mit sich bringt, der aber, wenn man ihn aufmerksam und in Übereinstimmung mit den Grundwerten des Glaubens beschreitet, die Seele einst sicher ins Paradies geleiten wird. Das unergründliche Geheimnis von Stirb und Werde, Geburt und Tod, will im Tanze nachvollziehbar gemacht werden. Letztlich aber steht dahinter der uralte Drang des Menschen, sich tanzend Gott zu nähern. Tanz wird so zum Bild für die Rückkehr ins Paradies. Alles, was der tanzende Fromme mit Gesten und Musik andeutet, ist nur eine heimliche Einübung auf das, was er ersehnt: den Reigentanz des ewigen Lebens.

Die Labyrinth-Tänze werden am frühen Morgen oder am späten Abend im Arther Irrgarten, beim Erlihof am Sonnenberg, durchgeführt. Durch das Erzählen von Mythen und Sagen, durch Klänge und Tanzen, durch besinnliche Gedanken und handfestes Gestalten will etwas von der Symbolik erlebbar gemacht werden, die im Bild des Irrgartens und Labyrinths verborgen liegt. Die nächsten Anlässe dieser Art sind am Montag, den 28. August, und am Montag, den 25. September 2000, jeweils 06.00-07.30 Uhr, sowie am Donnerstag, den 21. September, 21.00-23.00 Uhr.

Website IrrgARTHen